das wird: „Tanz ist eine Kunst, die davon lebt, dass man sich anfasst“
Am Braunschweiger LOT-Theater zeigen sechs Choreograf*innen ihre Arbeiten und widmen wichtigen Themen Zeit im Tanz
Interview Hellen Kachler
taz: Frau Theis, was steckt hinter „Tanzzeit“?
Stephanie Theis: Oft entstehen Choreografien für Wettbewerbe mit viel Mühe, aber verschwinden danach in der Schublade. Außerdem gibt es viele Tänzer*innen, die zwar gerne choreografieren, aber neben dem Tanzen nicht wirklich dazu kommen. „Tanzzeit“ möchte solchen Arbeiten eine Bühne geben..
Wer sind die Teilnehmer*innen?
Theis: Anfangs galt die Ausschreibung nur für Niedersachsen, aber inzwischen bilden wir den ganzen Norden ab. Bei „Tanzzeit“ geht es darum, Vielfalt abzubilden. Woher die Teilnehmer*innen kommen, wie lange sie schon tanzen, ob sie freiberuflich oder im Ensemble tanzen, sind Aspekte, die eine Prägung in der Tanzsprache und in der Themenwahl hinterlassen. Deshalb kommt auch die Hälfte der Teilnehmer*innen aus dem freischaffenden Bereich und die andere vom Theater.
Frau Dirks, gibt es einen thematischen Fokus?
Sara Dirks: Nein, die Themen sind für die Bewerbung offen. Aber bei der Auswahl schauen wir, welche Choreografien gut zusammenpassen.
Festival „Tanzzeit 7“ im LOT-Theater, St. Leonhard 8a, Braunschweig. Mit Arbeiten von Meggie Blankschyn, Laura Kassé, Chiara Pareo, Nils Röhner, Yasmin Schönmann und Sofie Vervaecke, 1. und 2. 12., 20 Uhr
Welche sind das aktuell?
Dirks: Prinzipiell ist es für zeitgenössischen Tanz typisch, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen.
Theis: Seit der Pandemie spielen Themen wie Distanz, Einsamkeit, Kontaktlosigkeit und allgemein Körperlichkeit eine große Rolle. Die Pandemie hat für alle tiefgreifende Veränderungen bedeutet. Gerade Tanz ist eine körperliche Kunst, die davon lebt, dass man sich anfasst, den Körper spürt und vor Publikum auftritt, das auf das Aufgeführte reagiert. All das war in der Pandemie nicht möglich. Dieses Defizit wird auch tänzerisch aufgearbeitet.
Wie kann darstellende Kunst das leisten?
Theis: Theater ist ein sozialer Raum. Menschen können dort sehr kontrovers diskutieren, ohne sich direkt auf die Rübe zu schlagen. Auf der Bühne darf alles sein und oft gibt es breite Spektren, die ausgehalten werden. Das gibt den Zuschauer*innen die Möglichkeit, eine Meinungsvielfalt erst mal nur wahrzunehmen. Spannung gehört hier natürlicherweise dazu. Drama ist Konflikt und Konflikt ist Drama.
Sara Dirks
ist Tanzdramaturgin und Programmleitung zeitgenössischer Tanz am LOT-Theater Braunschweig.
Und Tanz im Speziellen?
Dirks: Beim Tanz liegt der große Vorteil darin, dass er ohne Sprache funktioniert. Bewegung ist universell verständlich. Deshalb überbrückt er sprachliche, interkulturelle und politische Barrieren. Tanz beinhaltet immer Gruppendynamik und ist deshalb sozial und vernetzend. Man muss füreinander Verständnis erlangen.
Theis: Sprache ist die Konvention, die wir kennen. Hinter Sprache kann man sich total verstecken. Tanz ist viel unmittelbarer.
Was ermöglicht „Tanzzeit“ den Zuschauer*innen?
Stefanie Theis
ist geschäftsführende Vorständin und künstlerische Leiterin des LOT-Theaters Braunschweig.
Dirks: Das Erlebnis als Zuschauer*in ist sehr subjektiv. Ganz selten wird transportiert, was man dem Erlebten entnehmen soll. Bei „Tanzzeit“ ist das Publikum sehr divers. Da sind auch Menschen, die gar nicht viel Tanz kennen. Die Stücke dauern maximal eine Viertelstunde und sind sehr vielfältig. Das macht den Zugang sicherlich einfacher.
Dieses Jahr wird erstmalig eine Research-Residenz vergeben. Was hat es damit auf sich?
Theis: Mit der Residenz wollen wir an die „Tanzzeit“ anknüpfen. Es geht darum, Tänzer*innen zu motivieren, sich zu bewerben und ihnen Raum zu geben, neue Ideen zu entwickeln oder bestehende Projekte fortzuspinnen.
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