piwik no script img

das wird„Seine Orgeln klingen sehr transparent und weltlich“

Umstritten als Autor und als Instrumentenbauer: Jan Bürger spricht über Hans Henny Jahnn, dazu erklingt dessen Orgel in Hamburg-Langenhorn

Chris Korner

Jan Bürger

54, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, ist stellvertretender Leiter des Deutschen Literaturarchivs Marbach.

Interview Petra Schellen

taz: Herr Bürger, wie klingt die Hamburg-Langenhorner Hans-Henny-Jahnn-Orgel?

Jan Bürger:Es gibt hier in Hamburg sogar zwei Orgeln aus der Weimarer Zeit, die der 1959 verstorbene Schriftsteller und Orgelbauer Hans Henny Jahnn konstruiert hat. Die eine steht in der Heinrich-Hertz-Schule, die andere in Langenhorn. Beide klingen besonders transparent und weniger pathetisch als die meisten Kirchenorgeln. Vielleicht könnte man auch sagen: weltlicher.

Inwiefern war ihr Klang neu?

Jahnn war einer der Protagonisten der sogenannten Orgelbewegung, mit der die Orgel als künstlerisches Ausdrucksmittel neu entdeckt werden sollte. In Bezug auf das Repertoire sind seine Orgeln besonders für Barockmusik und moderne Kompositionen geeignet. Das hängt mit seinen musikalischen Vorlieben zusammen: Polyphonie ging ihm über alles; das damals populäre spätromantische Repertoire hingegen lehnte er ab.

Wie kam das an?

Jahnns Instrumente waren immer umstritten. Zugleich fand er viele Unterstützer, wenn er eine Rückbesinnung auf handwerkliche Qualitäten und barocke Klangideale forderte. Im Grunde wollte er das Klangbild der Orgel und die Aufführungspraxis rationaler machen – er glaubte an die Schönheit der Proportionen, die durch die Musik sinnlich erfahren werden können. Er fragte sich, welche Gesetze den Klängen innewohnen.

Erfand Jahnn auch neue ­Orgelregister?

Ja, auch. Anderseits hat er wieder auf mechanische Trakturen gesetzt und Schleifladen, anstatt alles, wie damals üblich, einer möglichst leichten Spielbarkeit unterzuordnen.

Wie wurde Jahnn eigentlich zum Orgelbauer und -retter?

Er wollte schon vor dem Ersten Weltkrieg mit Freunden eine weltliche Künstler- und Glaubensgemeinschaft gründen. Zentral waren für sie die Musik vor Bach – Buxtehude etwa – und das Interesse an der Orgel. Bei Kriegsausbruch flohen Jahnn und sein Geliebter Gottlieb Harms nach Norwegen, um nicht eingezogen zu werden. Dort haben sie sich den Orgelbau beigebracht. Als sie 1918/19 zurückkamen und erfuhren, dass die barocke Arp-Schnitger-Orgel in Hamburgs St.-Jacobi-Kirche abgetragen werden sollte, setzten sie durch, dass sie gerettet und restauriert wurde.

Vortrags­konzert mit Jan Bürger zur Langenhorner Hans-Henny-Jahnn-Orgel: Sa, 29. 10., 19 Uhr, Hamburg, Ansgarkirche Langenhorn, Langenhorner Chaussee 266

Wie erging es Jahnn in der NS-Zeit?

1933 floh er nach Dänemark, ging dann in die Schweiz und schließlich nach Bornholm. Er reiste aber immer wieder nach Deutschland, wo er offiziell nie verboten wurde. Doch seine Familie war gefährdet, nicht nur durch sein Werk, sondern auch dadurch, dass der in der Schweiz lebende Vater seiner Frau Ellinor Jude war. Aber es ging gut.

Und wie verlief die Geschichte der Langenhorner ­Orgel?

Die Ansgar-Kirche, in der sie steht, wurde 1929/30 im Stil des Neuen Bauens errichtet. Auch die Innenausstattung sollte auf der Höhe der Zeit sein. Deshalb beauftragte man Jahnn. Die Orgel steht hinter einer Art Vorhang aus Betonpfeilern. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie lange stillgelegt, und in den 1980ern setzte man ein kleineres, modernes Instrument davor. Als in den 2000er-Jahren dessen Renovierung anstand, besann man sich auf die Jahnn-Orgel und sanierte stattdessen sie. Seit 2008 ist sie wieder in Betrieb und genießt den Ruf, für jede Form von polyphoner Musik besonders geeignet zu sein. Deshalb hat die von Jahnn mit gegründete Freie Akademie der Künste zu seinen Ehren mehrere Kompositionen in Auftrag gegeben, die jetzt uraufgeführt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen