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Archiv-Artikel

das sommerwunder (5) ADRIENNE WOLTERSDORF erklärt, warum der Sommer in Berlin so schön ist

Die Stadt scheint

Was für eine alte Debatte! Immer wieder erörtern wir das Für und das Wider des Hierbleibens. Einfach nicht wegfahren aus dieser Stadt, wenn der Sommer die Katzen und Köter lahm macht. Auch mich. Jeder Schritt wird zäh. Hinauf in die WGs und die Dachgeschosswohnungen Kreuzbergs und Prenzlbergs geht’s dann schleichend, japsend, winselnd, hechelnd, schwergefäßig, schwitzig.

Doch oben angekommen, belohnt ein strahlender Himmel uns Mühselige, Daheimgebliebene. Allein dieser Himmel ist ein Grund, nirgendwo anders den Sommer zu verbringen. Die Stadt darunter scheint. Sie strahlt, leuchtet, phosphoresziert und legt sich lustvoll unter diesen königlichen Mantel. Mit einer scharfkantigen Frische, die atemberaubend ist.

Es ist dieses Licht, das die schwierige preußische Metropole zu einem Genuss für Lebenslustige macht. Wer aus den weinbewachsenen feuchtwarmen Regionen des badischen Südens hierher zog, den glühend grün rollenden Landschaften des Oberschwäbischen entfloh oder den melancholischen Nebeleinsamkeiten des Bodensees entrann, der staunt. Jahrelang.

Dieses Licht! Der Berliner Himmel, so nördlich gelegen, dass er den Südländern hier fast zwei Stunden mehr Tageslicht schenkt, ein Lichtschnäppchen für Rechner. Ein Bonus, den Zugezogene obendrauf bekommen. Das Miles&More-Programm der nördlichen Breiten.

Kaum dass sich die Sonne im Jahresrhythmus wieder aufmacht, wieder etwas mehr zu erscheinen, beginnen im März die herrlichen Morgenstunden. Bis in den Juli, August hinein gibt sie jeden Morgen ein wundersames tänzerisches Spektakel: Mit langen, verspielten Beinchen trippelt die Sonne dann durch ein paar Wolkenlöcher herbei. Ab vier Uhr morgens, erst dämmerig unbestimmt hinter dem Bühnenvorhang. Dann, fertig für den Auftritt, tastet, füßelt und marschiert sie schließlich mit langen gelben Beinen immer üppiger in der erwachenden Stadt herum.

Abends beendet sie die tollkühne Vorstellung auf ähnliche Weise. Ihren Rückzug mit rosa Rüschen am Himmel feiernd, tobt und lacht sie lange noch hinter dem Horizont herum. Wohl vergessend, dass wir ihr Publikum sind. Sich selbst genug.

Die Dächer Berlins recken sich derweil spitz und keck in das samtene Blau. Statt den Himmel mediterran zu streicheln oder sich finster skandinavisch unter ihm zu ducken, sitzen die Dächer Berlins stolz auf den hellen Fassaden und geben ein bisschen an mit den Atlanten und Löwenmäulern, denen sie Schatten und Schutz verleihen. An der hauchfeinen Linie, wo sich Silhouette und Firmament dann begegnen, huscht das Auge entlang. Immer wieder Winkel abfahrend, die das Licht in alle Richtungen schicken. Es kämpft jede Kante mit einem anderen morgendlichen Strahl. Berlin blüht auf, erwacht, wird schön.

Es gibt ja Menschen, die fahren deswegen nach Skandinavien. Wegen des Lichts und des Himmels! Doch wozu?