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Archiv-Artikel

das gaffen der provinz von WIGLAF DROSTE

Wer im Kaff wohnt, ist ein Kaffer, wer im Kaff wohnt, ist ein Gaffer. Und gafft also: Ungeniert starrt der Landmann an, was er für fremd hält, weil es ihm fremd ist, weil er es nicht kennt. Stieren Auges und mit offenem Halse glotzt er und senkt seinen jeglicher Scham entkleideten Blick auch nicht, wenn der vom Angestarrten kurz erwidert wird, eben damit der Starrer sein Starren unterlasse.

Hilft aber nichts, es wird weiter geglotzt und die Futterluke offen stehen gelassen. Das sieht astrein beschränkt aus – fehlt nur, dass der Sabber rausläuft. In der Tierwelt wird dergleichen Gebaren als Aggression begriffen und behandelt. Aber man ist ja zivilisiert beziehungsweise weil der Gaffer es eben überhaupt nicht ist, muss der Angegaffte es doppelt sein und ruft also nicht: „Mach den Mund zu, da kommen Fliegen rein!“, sondern lässt es sich kopfschüttelnd gefallen und sieht zu, dass er Land gewinnt.

Es gibt keine plausible rationale Erklärung für das Gaffen der Provinz. Die Ereignislosigkeit des Landlebens ist längst nicht mehr vorhanden – da ist die Hölle los, da taumelt alles, wie sie es nennen, von Event zu Event. Satellitenschüsseln sieht man auf jedem zweiten Hausdach – ob sie sich das Gaffen da abkucken?

Das kann auch nicht sein, denn gegafft haben sie ja vorher schon. Liegt es an Iris Berben, die den Deutschen, seltsamerweise zu deren Freude, turnusmäßig zeigt, wie wenig intelligent der Mensch mit offenem Munde aussieht? Will die gaffende Landbevölkerung also die Bereitschaft zu Cunnilingus und Fellatio signalisieren? Auch das ist nicht zu fürchten, denn die Landbevölkerung zieht zur sexuellen Triebabfuhr die Bewohner ihrer Stallungen vor. Ist es also schlicht simpelste Unhöflichkeit, die komplette Abwesenheit von natürlicher oder erlernter Feinfühligkeit?

Man weiß es nicht. Man weiß nur: Es ist einfach so. Man geht übers Land und wird beglotzt. Das ist nicht schön, aber irgendwann geht man ja vom Land wieder weg, um den einen, den einzigen Vorteil der Stadt zu genießen: das völlige Desinteresse von Kamerad Mitmensch, vor dem man halb oder auch ganz tot umfallen könnte und der außer unappetitlich berührtem Ausweichen keinerlei Regung zeigte, jedenfalls keine menschliche – mit der täte er sich allenfalls dicke, wenn er sie irgendwie gewinnbringend losschlagen könnte. Mit all dem kann man nötigenfalls aber leben.

Nur dass man, mitten im See schwimmend, selbst vom hektisch ruckenden Paddler, Ruderer oder Schwimmer noch mauloffen angeglotzt wird, ohne den geringsten Anlass dafür gegeben zu haben, einfach nur, weil die Gaffer eben ans Gaffen gewöhnt sind, das übersteigt mein kognitives Fassungsvermögen – und meine gandhihafte Duldsamkeit. Und so sage ich: Wenn Augen nur zum Saugen taugen, dann nehmt sie weg. Nehmt sie herunter von der Welt und ihren Bewohnern. Wie ihr das macht, ist egal – nur nehmt sie weg. Schließt sie – und wenn ihr das anders nicht könnt, schließt sie für immer. Menschheit, hör auf zu glotzen. Und mach den Knabberkasten zu – es zieht …!