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Archiv-Artikel

das beste radio der welt von WIGLAF DROSTE

Die Pressebeauftragte des Frankfurter Mousonturms, in dem ich abends las, rief an und sagte, es gebe eine Anfrage von Radio X – ob ich ein kurzes Radiointerview machen könne. Kein Problem, sagte ich, und etwas später klingelte das Telefon.

Radio X war in der Leitung, in Gestalt eines jungen Mannes, der hektisch, nervös und sympathisch zugleich klang und sich als „Benny“ vorstellte. „Kannst du mich bitte anrufen?“, fragte er. Von Fremden angeduzt werden ist oft nicht gut – wer sich vor Menschen stellt und sie mit den gleichermaßen sinnlosen wie herabsetzenden Worten „Du bist Deutschland!“ belegt, darf sich nicht wundern, die kalte Schulter oder einen Vogel gezeigt zu bekommen. Aber das Du von Benny war anders – es war ein Du auf Augenhöhe, ein egalitäres Du unter Menschen.

Dennoch verwirrte mich die Bitte, und ich sagte das auch. „Warum soll ich dich anrufen? Wir telefonieren doch gerade?“, fragte ich. „Weil ich von außen anrufe und nicht von innen“, gab Benny zurück und erklärte: „Das Interview muss ich im Studio machen, jetzt rufe ich von außerhalb an.“ – „Und warum rufst du nicht aus dem Studio an?“, fragte ich nach Art der alten, blöden Logiker. „Weil ich es nicht gebacken kriege“, gab Benny zurück. Das brach das Eis.

Wer kennt schon junge Männer, die zugeben, etwas nicht zu können? Speziell im Mediengeflirre wird man von Professionalitätsdarstellern überschwemmt, niemand will mehr als Dilettant Freude an der Arbeit haben. Praktikanten, die eben notdürftig telefonieren können, röcheln wichtig in den Apparat: „Gestatten, mein Name ist Cox, ich recherchiere hier eine große Geschichte …“, wenn sie nach einer Adresse oder der Uhrzeit fragen. Journalismus bringt in denen, die an ihm erkrankt sind, für gewöhnlich die unangenehmsten Eigenschaften zum Vorschein.

Nicht aber bei Benny von Radio X. Seine Freimütigkeit nahm mich ganz für ihn ein, ich ließ mir die Nummer des Studios geben und wählte sie. Ein Dutzend Mal ließ ich es klingeln, niemand nahm ab. Vielleicht war der Weg ins Studio ja ein weiter – nach einigen Minuten versuchte ich es erneut. Diesmal klappte es. „Super“, sagte Benny. „Du bist schon auf Sendung.“ Und legte nach: „Ich hab ja noch nie was von dir gelesen“, sprudelte er, „ich bin erst heute auf dich gestoßen.“ Der Mann wusste um die Dinge: Künstler sind immer gefährdet, ins Eitle abzurutschen, aber Benny von Radio X führt sie auf den Pfad der Bescheidenheit zurück. Kein Geschleime, kein medienübliches Eierkraulen, nur die nackte Wahrheit. Großartig, dachte ich, der Mann könnte sogar Günter Grass heilen – und den Journalismus gleich mit, in dem jeder, der eine Google-Taste gedrückt hält, schon glaubt, er durchleuchte die Welt.

Überschwänglich plauderte Benny mit mir, empfahl mich seinem Radiopublikum und sagte zum Schluss: „Danke, Wigalf.“ Wigalf – gerade in seiner offenkundigen Absichtslosigkeit war dieser Stoß meisterlich gearbeitet. Sollte ich jemals abgehoben gewesen sein, jetzt war ich auf dem Boden der Welt. Technisch halbwegs professionell Substanzlosigkeit in den Äther blasen kann nachweisbar jeder, das versendet sich und ist wie nie gewesen. Lang aber lebe Radio X, der beste Sender der Welt.