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Archiv-Artikel

castor-transport Das Ende der Symbolik

Nein, für starke Parolen eignet sich der entsetzliche Tod eines jungen Menschen auf französischen Bahngleisen sicher nicht. Noch weiß niemand, wie es zu dem tragischen Unfall bei Avricourt kommen konnte – nur dass es sich um einen solchen handelt. Dass Mutwilligkeit nicht im Spiel war, das wünschen sich inständig Befürworter wie Gegner der Atomenergie. Es wäre ein schwacher Trost. Atomkraft tötet. Aber so hatte sich das niemand vorgestellt.

KOMMENTARVON GERD ROSENKRANZ

Im Jahresrhythmus wurde den Zuschauern der Ausnahmezustand in die Wohnstuben geliefert, wenn sich mal wieder ein Castor-Zug im Schritttempo durch das Wendland schob. Die Bilder glichen sich, und mit jedem neuen Aufruhr nahm die Sorge ab, irgendwann werde „es“ schief gehen, irgendwann würden sich Militanz auf der einen und Ignoranz auf der anderen Seite bis zum ersten Toten aufschaukeln.

Zu routiniert ritualisiert schienen die Auseinandersetzungen. Nur wer vor Ort war, erlebte immer mal wieder Situationen, in denen nur der Zufall Schlimmeres verhinderte. Im Übrigen waren – nachdem klar war, dass sich die Transporte verzögern, aber nicht verhindern ließen – alle Beteiligten darauf bedacht, die unsichtbare Grenze nicht zu übertreten, an der sich spielerischer, zuweilen aber auch militanter Protest in tödlichen Ernst verwandelt.

Nun ist es doch geschehen – und vielleicht nicht zufällig in Frankreich, weit entfernt von den Hochburgen des Protests. Längst gehörte hierzulande das Sich-Anketten an die Gleise zu den allseits anerkannten Protestformen. Es erwies sich als wirkungsvoll, nicht, weil auch nur ein Castor weniger die Lagerhalle bei Gorleben erreichte, sondern weil der Einsatz des eigenen Körpers den heiligen Ernst der Atomkraft-Gegner demonstrieren sollte.

Es war der Gipfel der Symbolik. Jetzt erleben wir ihr fürchterliches Ende. Der Castor-Zug soll, so hieß es sogar zunächst, nach dem Unfall seine Fahrt in Richtung Gorleben fortgesetzt haben. Wenn dies stimmen sollte, würfe es ein bezeichnendes Licht auf die Kaltschnäuzigkeit derer, die das zu verantworten haben.

Aber auch die Demonstranten, die zur Stunde im Wendland auf den Unglückszug warten, müssen wissen, dass nichts bleibt, wie es war. Ab sofort gehört Sich-Anketten an den Gleisen nicht mehr zu ihrem Repertoire – oder sie werden erleben, wie sich die Stimmung im Lande dreht. Gegen sie.