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Archiv-Artikel

cannescannes Zwischen dem Willen zum Glamour und selbst erklärtem Anspruch

Cristina Nord ist an der Croisette: Ein Ausblick auf das Filmfestival von Cannes, das heute Abend mit „The Da Vinci Code“ beginnt

Eigentlich geht man in Cannes die Treppe hinauf: die rot bespannten Stufen vor dem Grand Théâtre Lumière. Das Plakat des diesjährigen Filmfests kehrt die Richtung dieser wichtigsten Bewegung, die Cannes kennt, einfach um. Es arbeitet mit einem Motiv aus Wong Kar-wais „In the Mood for Love“: Maggie Cheung wird von den Wänden eines Treppenaufgangs eingerahmt, die Wände liegen im Dunkel, der Durchgang im milden Licht, und Cheung ist in diesem Helldunkelkontrast mehr Silhouette als Figur. Sie befindet sich auf dem Weg von der kleinen Wohnung hin zur Garküche; die Szene kehrt in dem Film mehrmals wieder, und manchmal kreuzen sich auf dieser Treppe die Wege Maggie Cheungs und Tony Leungs. Anlass für diese Motivwahl ist, dass Wong Kar-wai in diesem Jahr der Jury vorsteht, die am 28. Mai die Goldene Palme vergibt.

Heute Abend, wenn die Bestsellerverfilmung „The Da Vinci Code“ die Filmfestspiele eröffnet, werden Tom Hanks, Audrey Tautou und Ron Howard die Treppe heraufspazieren. Ob die Wahl des Eröffnungsfilmes eine glückliche Entscheidung ist? Zwar wird sie Prominenz an die Croisette bringen, doch vergehen nach der Weltpremiere des Filmes nicht einmal 24 Stunden, bis „The Da Vinci Code“ weltweit in zahllosen Multiplexen anläuft. Verstriche wenigstens eine Woche, bliebe ein Rest von Exklusivität; so jedoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das Begehren der Festivalmacher nach Stars auf der roten Treppe gehe eine unselige Allianz ein mit dem Marketingbegehren von Sony Pictures.

Zumal in der Presseerklärung die Zielvorgaben des Festivals folgendermaßen abgesteckt werden: „die Hervorhebung des Autorenkinos, die Suche nach eigenständigen Stimmen aus unterschiedlichen Kulturen, die große Qualität der Regie, die Praxis des Kinos als Kunst“. Der Eröffnungsfilm steht in fast allen Punkten für das Gegenteil. Vermutlich ist genau dies einer der zentralen Widersprüche, die dem gegenwärtigen Betrieb der großen Filmfestivals zu eigen sind: Die Superproduktionen haben beim Publikum mehr Strahlkraft als ein Film, dem in Cannes die Goldene Palme verliehen wird; was an der Croisette im Wettbewerb läuft, mag in Frankreich noch einen Verleih finden, anderswo ist dies alles andere als sicher. Wobei die Verleiher nicht nur in Deutschland über das geringe Zuschauerinteresse klagen. In Großbritannien etwa spielte „L’enfant“ von den Brüdern Dardenne, der letztjährige Gewinner der Goldenen Palme, in den ersten zweieinhalb Wochen nach seinem Start 80.000 Pfund ein – bei einem so verhaltenen Ergebnis, schrieb die Filmzeitschrift Sight & Sound, werden sich die Programmkinos in der Provinz, die den Film noch nicht gebucht haben, sehr genau überlegen, ob sie dies tun sollen oder nicht.

Jenseits solcher Überlegungen steht außer Frage, dass das diesjährige Wettbewerbsprogramm genug Eröffnungsfilme hergegeben hätte – solche zum Beispiel, die stellvertretend für die Neigung zum europäischen Autorenkino stehen: Pedro Almodóvars „Volver“ („Zurückkehren“) mit Penelope Cruz in der Hauptrolle, Nanni Morettis „Il caimano“ („Der Kaiman“), ein fiktionalisierter Angriff auf Berlusconi, und natürlich Aki Kaurismäkis „Laitakaupungin valot“ („Die Lichter der Großstadt“).

Und dann ist da noch Sofia Coppolas neuer Film. Obwohl der Regisseurin an Kostümfilmen und period pieces nicht allzu viel liegt, hat sie „Marie-Antoinette“ gedreht, mit Kirsten Dunst in der Rolle der Österreicherin, die 1770 den späteren französischen König Ludwig XVI. heiratet und 1793 enthauptet wird. Entstanden ist der Film an französischen Originalschauplätzen. Den Cahiers du Cinéma hat die Regisseurin ein ausführliches Interview gegeben, in dem sie die Kontinuität der Protagonistinnen ihrer drei Filme beschreibt: In „The Virgin Suicides“, in „Lost in Translation und in „Marie-Antoinette“ geht es jeweils um junge Frauen, die in einem Spannungsverhältnis zu ihrer Umgebung stehen: ob am französischen Hof, in Tokio oder Kalifornien, Coppolas Protagonistinnen fremdeln. „Tatsächlich bilden meine Filme eine Trilogie, jeder von ihnen beschreibt eine neue Etappe innerhalb des Stadiums des Heranwachsens, der Unsicherheit.“ Auf die historische Akkuratesse hat die Regisseurin nicht viel Wert gelegt: „Im Film wird zum Beispiel viel Champagner getrunken. Obwohl der damals schon erfunden war, weiß ich nicht genau, ob dies der Fall war am Hofe Frankreichs. Aber es ist gut möglich, und es stellt eine Verbindung her zu dem, was man heute auf Festen trinkt.“