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Archiv-Artikel

canik capar „Unsichtbare Mauer“

„Ich komme aus einem Dorf am Musa Dagh in Kilikien. Meine Familie hatte 1915 Glück. Wir beklagen keine Opfer. Das Land dort ist sehr schön. Wenn auch das Leben dort für mich so schön gewesen wäre, wäre ich dort geblieben. Aber für einen Armenier ist der Alltag in der Türkei ein Versteckspiel. Wir geben uns türkische Namen, die Eltern raten ihren Kindern, nicht Armenisch zu sprechen.

Ich habe in der Türkei als Lehrer gearbeitet. Der Direktor des Erziehungsamtes in unserer kleinen Kreisstadt war ein guter Mann. Er hat mich als Vertretung für unseren Schuldirektor ausgewählt. Aber alle meine 17 türkischen Kollegen haben einen gemeinsamen Brief verfasst und nach Ankara geschickt. Sie haben sich beklagt, man zwinge sie dazu, unter der Leitung eines Armeniers zu arbeiten. Das war nach vielen weiteren Diskriminierungen und Beleidigungen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich bat, vom Dienst entbunden zu werden. Ein Jahr später bin ich nach Deutschland ausgewandert. Bis vor kurzem arbeitete ich in einer Schule als Sport- und Türkischlehrer.

Auch in Deutschland hat mich die Diskriminierung der Türken verfolgt. Zwar sind wir hier wenigstens gleich gestellt. Mit den Türken in Berlin kann ich aber über meine Probleme als Armenier nicht sprechen. Sobald sie erfahren, dass ich Armenier bin, baut sich eine unsichtbare Mauer zwischen uns auf. Hier ist es sogar schlimmer als in der Türkei. Dort gab es wenigstens weltoffene Menschen, mit denen man über das Massaker sprechen konnte.

Aber ich mache diesen Menschen hier keine Vorwürfe. Sie leben selber als eine Minderheit, und wer so lebt, der zieht sich zurück und wird zum Selbstschutz nationalistischer – auch weil die Deutschen sie immer „Ausländer“ nennen.

Die Armenier in Berlin kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Wir haben hier eine kleine Gemeinde. Es ist schwer, Armenier und Türken zusammenzubringen. Denn auch unter den Armeniern sind viele dazu noch nicht bereit. Die Wunden sind noch zu tief. Und es gibt auch sehr nationalistische Menschen unter den Armeniern.

Canik Capar (64) ist Lehrer in Rente und lebt seit 1973 in Berlin