bücher über fußball, erste lieferung : Verhinderte Weltmeister, große Sportreporter, kleine Jungs und letzte Geheimnisse
Die Olympischen Winterspiele in Turin waren ein ambivalentes Vergnügen. Selbst der größte Wintersportmuffel genoss noch einmal die zwei Wochen Verschnaufpause, in denen der Fußball gezwungenermaßen eine Nebenrolle spielte; andererseits lieferten die Spiele einen Vorgeschmack auf den medialen Irrsinn, der uns in den nächsten Wochen bevorsteht: die Welt zu Gast bei Freunden (noch 90 Tage), und ganz Deutschland im Fußballvollrausch (mindestens 120 Tage), volens und leider nolens.
Vom kleinen Bäckermeister über große Limonadenhersteller bis zu den Medienmachern dieser Republik möchte da niemand nur in der zweiten Reihe stehen, auch nicht die Verlage: Sie hauen an Fußballbüchern raus, was rauszuhauen ist, und eine Selbstverständlichkeit ist, dass auch wir sichten, was zu sichten ist, frei nach Schnauze und Genres. Ein gutes Beispiel dafür, wie schwer es ist, Fußball in Buchform zu verewigen, ist „Die verhinderten Weltmeister“, eine Anthologie über elf große Spieler, die nie an einer Fußball-WM teilnahmen, wie etwa Mehmet Scholl oder George Best, und elf große WM-Spieler, die nie Weltmeister wurden, wie etwa Johan Cruyff oder Kalle Rummenigge. Geschrieben haben die Texte zumeist Autoren, die man von einschlägig-guten Sportseiten wie der SZ, taz und FR kennt, die Lieskes, Rengs und Schönaus also. So schön sich die Porträts aber lesen, so sehr fällt auf, dass Fußball doch vom Augenblick lebt und Sportjournalismus am meisten Spaß macht, wenn er aktuell ist und von Juve gegen Werder berichtet oder von der letzten Hertha-Aufsichtsratssitzung zum Verbleib oder Rausschmiss von Falko Götz.
Dann lieber gleich ein Buch über die Welt der Sportmedien. Marcel Reif hat ein solches geschrieben. „Aus spitzen Winkel“ blickt hinter die Kulissen und schildert kompetent das Sportreporter-Handwerk. Dazu ist es ein persönliches Buch, eine Art Entwicklungsroman, in dem Reif erzählt, wie aus dem kleinen Marcel, der von seinem Vater zu einem Spiel von Legia Warschau mitgenommen wird, einer der besten Fußballkommentatoren Deutschlands wird.
Ein richtig fiktiver und genauso leichtfüßiger wie anrührender Coming-of-Age-Roman ist Sergio Olguíns „Die Traummannschaft“. Der 14-jährige Ariel ist ein großer Fußballfan (Boca Juniors) und erlebt in Buenos Aires die Qualen und Schönheiten der ersten großen Liebe. Eines Tages wird dem Vater seiner Freundin der Ball, mit dem Diego Maradona einst kickte, geklaut, und beim Versuch, diesen wiederzufinden, erfährt Ariel, was Unrecht und Willkür bedeuten, Schuld, Unschuld und Solidarität, und dass Fußball nicht immer unser aller Leben sein kann.
Ganz tief drin in der reinen Fußballmaterie wiederum ist Rainer Moritz, der mit „Abseits“ fast ein Lehrbuch geschrieben hat und sich darin der kompliziertesten Regel des Fußballs annimmt. Sein Buch liest sich dort am besten, wo es frei schweifend über das Abseits räsonniert, über das Mysterium Abseits und seinen schlechten Leumund. Anstrengend wird es, typisch Abseitsregel, wenn Moritz in medias res geht und das Abseits erklärt, auch mit Zeichnungen und am Ende gar Übungen. Statt sich da durchzukämpfen, zieht es einen lieber vor den Fernsehschirm zu irgendeinem Zweitligaspiel im DSF, und wie froh ist man dann, dass es einen Schiedsrichter gibt und man selbst ganz passiv diesem die Entscheidungen über Abseits oder nicht überlassen kann. Der Fußball dient ja auch immer dem Abschalten, er bewirkt befreiende Leere, und nichts steht dem mehr im Weg als die genaue Kenntnis der Abseitsregel. GERRIT BARTELS
„Die verhinderten Weltmeister“. Hrsg. von Herbert Perl. Kunstmann, München 2006, 240 S., 16,90 Euro Marcel Reif: „Aus spitzen Winkel“. Heyne, München 2006, 222 Seiten, 7,95 Euro Sergio Olguín: „Die Traummannschaft“. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2006, 184 Seiten, 7 Euro Rainer Moritz: „Abseits“. Kunstmann, München 2006, 152 Seiten, 16,90 Euro