buchkritik : Wenn der Herr Professor kurze Hosen anzieht
Wer ist schuld? Klaus Theweleit, Norbert Bolz oder doch César Luis Menotti? Nach der intellektuellen Aneignung des Fußballs ist die akademische Attacke bereits in der Verlängerung. Die neuesten bedoktorten Ballartisten: Ein Catenaccio aus Wissenschaftlern, der jetzt im Essener Klartext-Verlag eine 590-Seiten-Aufsatzsammlung über den Ruhrpottsport Nummer Eins auf den Platz gebracht hat. Erste Frage: Wer soll das lesen? Wahrscheinlich die gleichen Leute, die alle Oberliga-West-Resultate parat haben und wissen, was Uli Maslo gerade so macht – Nerds, Geeks und Fußballologen.
Wie bei einem Fußballspiel gibt es auch im Wissenschaftssport Genies und Wasserträger. Den stärksten Beitrag über den Weltverband FIFA als „Trittbrettfahrer des 20. Jahrhunderts “ hat wohl die Historikerin Christiane Eisenberg verfasst. Die Forscherin am Centre for British Studies der Humboldt-Uni Berlin hatte 2001 mit „English Sports und deutsche Bürger“ das Standardwerk der deutschen Sport-Historiographie vorgelegt.
Weitere starke Kapitel beschäftigen sich mit der Kriminalisierung der Fußballfans und dem Antisemitismus im Fußball. Unästhetisch ist dagegen, wenn in einem Beitrag über die „Ästhetik des Fußballs im Stadion“ die FC-Liverpool-Hymne „You‘ll never walk alone“ falsch zitiert wird. Und Revierlegende Adi Preißler hat natürlich gesagt: „Entscheidend is aufm Platz.“ Bahnbrechend Neues ist dem Band nur selten zu entnehmen, aber das gilt ja auch für den organisierten modernen Fußball.
Ärgerlich ist, dass einige Aspekte doppelt beleuchtet werden (Fans, Kommerzialisierung), andere dagegen nur am Rande auftauchen. Der Frauenfußball hätte ebenso ein eigenes Kapitel verdient wie die Besonderheiten des anachronistischen Homunculus „deutscher Amateurfußball“. Wie dem auch sei, das Buch wird ebenso in die Annalen eingehen wie ein etwas zu langes DFB-Pokalspiel. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
MARTIN TEIGELER
Jürgen Mittag, Jörg-Uwe Nieland (Hg.): Das Spiel mit dem Fußball – Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen, Klartext-Verlag, Essen 2007, 590 Seiten, 27,90 Euro