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brief des tages

Interpretationsfähige Lehre

„Braune Kontinuitäten“, taz vom 19. 11. 21

Nach gut einem halben Jahrhundert kommt die Justiz zu dem Ergebnis, dass 8o Prozent der Juristen in den Behörden Anhänger der Nazi-Ideologie waren und dass man heute daraus lernen müsse. Heute, da diese Juristen entweder verstorben sind oder wenigstens kein Unheil mehr anrichten können. Schon in den Fünfzigerjahren war jedem, der es wissen wollte, klar, dass die NS-Juristen­clique sich gegenseitig frei sprach und mögliche Klagen einzelner Kollegen unterband.Und die Nachkriegsjustiz glaubte tatsächlich, nicht auf deren „fachliche Expertise“ verzichten zu können. Welche Expertise? Nur angepasst an die Nazi-Ideologie konnten Richter und Staatsanwälte als Kinder ihrer Zeit Karriere machen. Und was damals nicht neu war, ist heute nicht anders. Siehe die Juristen im Reich Kaczyńskis, Lukaschenkos oder im Land des „lupenreinen Demokraten“ Putin, von Xi Jinping und anderen ganz zu schweigen. Was lernen wir daraus? Jura gibt sich gern als Rechts-„Wissenschaft“ aus, ist aber auch eine stark interpretationsfähige Lehre von Zeitgeist oder vorherrschender Ideologie.

Klaus-Ulrich Blumenstock, Stuttgart

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