brief des tages:
Neoliberalismus in Chile
„30 Pesos, 30 Jahre“, taz vom 1./2. 2. 20
Ich habe den ganzen November 2019 in Santiago verbracht, in einem Hotel, dass inmitten der Proteste lag, sehr nah an der Plaza Italia. Anders als die Reporterin des Artikels, hatte ich nicht eine Sekunde Angst vor den Jugendlichen, die in der primera linea auf der Avenue Vicuña Mackena gegen die „pacos“ genannten carabineros kämpften, um es den zum Teil Hunderttausenden von Demonstranten (täglich!) zu ermöglichen, überhaupt demonstrieren zu können. Angst hatte ich dagegen vor den carabineros, die schwerst bewaffnet auf die Demonstranten losgehen und auch Tränengas einsetzen, dass mit Ätznatron angereichert ist. Dieses Zeug bewirkt schwere Verbrennungen. Zur Wahrheit gehört auch, dass das neoliberale System in Chile nur mit Hilfe einer besonders blutigen und grausamen Diktatur durchzusetzen war. Mittlerweile hat aber ein Großteil der chilenischen Mittelschicht offensichtlich genug davon, für alles bezahlen zu müssen und am Ende mit einer lächerlich geringen Rente dazustehen (auch das Rentensystem ist privatisiert). Den Slogan „Ich habe keine Angst vor den pacos, ich habe nur Angst vor dem Tag meiner Verrentung“, habe ich öfters gesehen. Sabine Mehlem, Bremen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen