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Archiv-Artikel

bollywood, terror etc. Indische Kinoträume

Eine Familie wird zerstört. Der Vater stirbt fast, die Mutter erblindet, die drei Söhne sind in alle Winde – und die verschiedenen Religionen ihrer Ersatzfamilien – zerstreut. Als Amar (Hindu), Akbar (Muslim) und Anthony (Christ) werden sie einander wiederbegegnen. Ein erstes Mal, unwissend, am Anfang des Films in der Vorspannsequenz: In einem Krankenhaus spenden sie ihrer Mutter, ohne sie oder einander zu erkennen, das lebensrettende Blut. Amar, Akhbar und Anthony auf dem Weg zur familialen Wiedervereinigung: Das ist die Geschichte, die Manmohan Desais passenderweise „Amar Akbhar Anthony“ betitelter Film aus dem Jahre 1977 erzählt – als über Tragödien gehende, absurde und herrlich klamottige Komödie.

Diese Geschichten vom Verlieren und Wiederfinden haben eine eindeutige Konnotation, glaubt Suketu Mehta, Autor des Buches „Bombay. Maximum City“: Sie seien Reaktionen auf die blutige Teilung des Subkontinents im Jahr 1947, auf die Abspaltung Pakistans, das große Trauma der Befreiung aus der Kolonialherrschaft. Als „Lost and Found“-Genre hat man die Serie von Filmen bezeichnet, die in den Siebzigern ihren Höhepunkt erreichte, mit Werken wie „Seeta und Geeta“ (1972) von Ramesh Sippy, der Geschichte bei der Geburt getrennter Zwillingsschwestern. Die Teilung, schreibt Mehta, ist „mit den tiefen Emotionen, die sie auslöst, als große Tragödie wie gemacht für Bollywood“. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Mehtas eigenes Buch im Original die „Lost and Found“-Formel im Untertitel trägt.

Bollywood träumt die indische Nation als Familie, und auffällig oft ist ein Bruderzwist ein die Handlung vorwärts treibender Faktor. Es gibt die Komödienvariante – wenn es, per Versöhnung und Wiederzusammenführung, gut ausgeht, und sei es gegen alle Wahrscheinlichkeit. Wie islamistischer Terrorismus entsteht, schildert Vinhu Vinod Chopras Thriller „Mission Kashmir“ (2000), an dessen Entstehung Suketu Metha, wie in „Bombay. Maximum City“ nachzulesen ist, als Drehbuchautor beteiligt war. Ein Polizist adoptiert den muslimischen Sohn einer Familie, die er ermordet hat. Der Sohn findet es heraus, geht in den Untergrund, kehrt als radikaler Terrorist zurück, um Hindus gegen Muslime zu hetzen und mit einem gewaltigen Bombenanschlag Indien und Pakistan zum Atomkrieg zu provozieren. Trotzdem gibt es ein Happy End.

Die Tragödienvariante ist in Mani Ratnams faszinierendem Terrorismusfilm „Dil Se“ (1998) zu besichtigen. Auch hier wird der Kaschmir-Konflikt behandelt, der nicht zuletzt für die Fortsetzung des Teilungstraumas steht. Anders noch als in Ratnams „Bombay“ (1995), der Bombenterror und eine hindu-muslimische Liebesgeschichte (Zwillingssöhne inklusive!) kombiniert, bleibt die familiale Schlussversöhnung hier jedoch auf explosive Weise aus.

EKKEHARD KNÖRER