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Archiv-Artikel

blumenkohlbank und sündenmarkt von RALF SOTSCHECK

Manche Unternehmen lassen sich etwas einfallen, um ihre Angestellten zu Höchstleistungen anzutreiben. Eine Firma beteiligt sie zu einem homöopathischen Teil an den Profiten, eine andere macht mit ihnen Betriebsausflüge, und bei einer weiteren darf der Angestellte des Monats eine Woche lang sein Auto auf dem Chefparkplatz abstellen, sofern er eins besitzt.

Bei der Bank of Scotland geht man einen anderen Weg – den umgekehrten sozusagen. Einem 18-jährigen Kassierer in Glasgow stellte der Direktor einen Wirsingkohl auf den Schreibtisch, eine 24-jährige Angestellte in der Zweigstelle in Paisley bekam einen Blumenkohl. Das ist eine ähnliche Auszeichnung wie die Gurke des Tages auf der Wahrheitseite der taz. Das Gemüse war für die Kundschaft deutlich sichtbar. Der Bankdirektor in Paisley erklärte seiner Angestellten, dass sie den Blumenkohl erst dann an ein neues Opfer weiterreichen dürfe, wenn sie einen Kunden dazu überredet habe, ein Konto zu eröffnen. Der Nachwuchskassierer sei angesichts des Kohlkopfes aus Scham tagelang den Tränen nahe gewesen, berichtete der Guardian. Erst die Gewerkschaft „Amicus“, lateinisch für „Freund“, rettete ihn. Das seien ja mittelalterliche Methoden, schimpfte John Nolan, der Gewerkschaftsboss, und verlangte eine Untersuchung. Ein Sprecher der Bank erklärte, die beiden Direktoren, die die Gemüseverleihung gemeinsam ausgeheckt hatten, seien etwas über das Ziel hinausgeschossen. „Es tut uns leid, dass es diesmal schief gelaufen ist“, sagte der Sprecher, „aber im Allgemeinen gibt es bei uns viele positive Maßnahmen, zum Beispiel einen Bonus für gute Leistungen.“ Bei einem Bankangestellten lassen sich gute Leistungen vielleicht durch die Zahl der Kunden messen, denen er einen überteuerten Kredit aufschwatzt. Wie aber ist es bei einem Pfarrer? Durch das Besucheraufkommen im Gottesdienst vielleicht, durch die Überzeugungskraft seiner Predigten, oder gar durch die Zahl der Eheschließungen abzüglich der Scheidungen? Diese Fragen stellte sich allen Ernstes die Kirche von England auf ihrer letzten Synode. Dahinter steckt der Wunsch, ein messbares Leistungssystem einzuführen, um unfähige Pfaffen feuern zu können. Amicus, die nicht nur Bankangestellte, sondern auch 2.000 Pfarrer vertritt, sagte, ein Pfarrer sei kein Stabhochspringer, von dem bei einem Wettkampf die Höchstleistung verlangt wird, sondern es komme in diesem Beruf auf den Aufbau langfristiger Beziehungen an. Die Zahl der geretteten Seelen, um die es der Kirche letztendlich geht, ist aber schwer zu erfassen. Aber man könnte ja bei Taufen, Beerdigungen und Eheschließungen die freie Marktwirtschaft einführen, so dass die Pfarrer in den Konkurrenzkampf treten müssen, schlägt der Guardian vor. Oder man führt ein Quotensystem ein: Jede Gemeinde erhält eine Anzahl von freien Sünden zugeteilt. Wird sie überschritten, muss der Pfarrer anderen Gemeinden, die ihre Quote unterschritten haben, die Sünden auf dem Sündenmarkt in Canterbury abkaufen. Ein Pfarrer, dessen Gemeinde ständig vom Pfad der Tugend abweicht, nagt bald am Hungertuch oder bekommt von der Bank of Scotland auf Vermittlung von Amicus einen Blumenkohl.