bild gemalt von ONKEL FRANK M. ZIEGLER :
Die Hannah hat mir ein Bild gemalt. „Das ist aber ganz toll“, sag ich zu Hannah. Auf dem Bild ist irgend eine Kacke zu sehen. Hannah malt total scheiße. Das kann ich aber nicht laut sagen, weil ihre Eltern daneben sitzen.
„Bild gemalt!“, kräht Hannah. „Ja, ganz arg toll“, sag ich. „Vielen Dank. Das häng ich mir gleich nachher in die Küche.“ Selbstverständlich werde ich es wegschmeißen. „Du musst sie fragen, was es ist“, ermuntert mich Hannahs Vater. Der blöde Penner! Der weiß doch selber nicht, was das Gekritzel darstellen soll, und jetzt muss ich es ausbaden. „Ist das ein Haus?“, frage ich Hannah mit debilem Onkellächeln.
„Bild gemalt!“, jauchzt Hannah. Sie hat diese ekligen Zahnlücken, die bei Kindern angeblich süß sind. „Das tut sie nicht für jeden“, versichert ihre Mutter strahlend. Im Flur haben Hannahs blinde Eltern noch mehr ihrer „Werke“ aufgehängt. Auf einem ist eine haarige, blaue Wurst mit drei Beinen. „Pfert“ steht drunter. Gott, ist das Kind blöd!
„Das ist ein Haus und ein Indianer!“, sage ich zu Hannah, und es soll wie ein Befehl klingen. Klappt aber nicht: „Nein!“, lacht Hannah quietschend und lässt dabei Spucke durch die Zahnlücken quellen. „Das bist doch du!“ Hannahs Eltern lachen fröhlich mit: „Wie süß, die Hannah hat den Onkel Frank gemalt.“ Hat sie nicht! „Ja, jetzt seh ich’s auch“, lüge ich. „Ganz toll!“
Ich rede mir ein, dass Hannah keine fleischfarbenen Filzstifte zur Hand hatte, und ich nur deshalb ein knallrotes Gesicht bekommen musste. Und grüne Haare, die wie Federn aussehen. Und nur einen Arm. Mit den richtigen Stiften kann sie bestimmt besser malen, sonst fänden ihre Eltern das Ergebnis ja nicht so wahnsinnig gut. „Ist sie nicht wahnsinnig gut?“, fragt Hannahs Papa mich stolz. Als wir noch zusammen zur Uni gingen, dachte ich, aus dem wird mal was. Dann hat er Hannah gekriegt.
„Bild gemalt!“, jauchzt Hannah und hält es mir hin. Sie kann durchaus schon ganze Sätze sprechen, aber dann überschlägt sich ihre Stimme nicht so gut, und Hannah legt großen Wert darauf, dass ihre Stimme sich überschlägt, sobald ich in der Nähe bin. Ich versuche möglichst selten in Hannahs Nähe zu sein. Allein deshalb, weil ich in ihrer Nähe „Onkel“ genannt werde. „Magst du dem Onkel Frank noch so ein tolles Bild malen?“, ermuntert sie Hannahs Mutter. Ich weiß, dass sie das nur fragt, damit wir mal fünf Minuten Ruhe vor dem Monster haben. Aber fünf Minuten sind zu wenig, um sich gegenseitig zu erzählen, was man die letzten drei Jahre so alles getrieben hat. „Ich muss dann auch echt so langsam gehen“, lüge ich. „Ruft mich doch wieder an, wenn das Blag 18 ist und bei ihrem Freund wohnt!“ Den letzten Satz denke ich nur. Sagen darf man den nicht laut.
Hannahs Eltern bedauern, dass ich schon gehen muss. Hannah heult. Als ich endlich aus der Wohnung bin, stolpere ich über ihr quietschbuntes Dreirad. Eine Welle der Traurigkeit überrollt mich, als ich mein Adressbüchlein zücke und den Namen von Hannahs Eltern durchstreiche. Jetzt kann ich mich eigentlich nur noch mit Thorsten treffen. Der ist seit seiner Hoden-OP unfruchtbar, und das ist ein Glück.
Das blöde Bild hab ich in der grauenvoll unordentlichen Wohnung vergessen. Hoffentlich schicken sie es mir nicht nach.