big in japan: FRANK KETTERER über Arm und Reich
In der Gasse von Ueno
Es war schon spät in der Nacht in einer kleinen Seitenstraße in Ueno, einem Stadtteil Tokios, nur einen Kurzpass vom Bahnhof entfernt. Dunkel war es in der Gasse, in die man sich bei der Suche nach dem Hotel verirrt hatte, trostlos. Es stank nach Urin. In den Ecken der Häuser türmte sich der Müll zu Bergen auf, die streunenden Katzen als Spiel- und Jagdplatz dienten. Und dazwischen lagen Menschen. Eingepackt in Zeitungspapier, unter großen Pappkartons, die sie über sich aufgeschlagen hatten wie ein Zelt, um darunter die Nacht zu verbringen.
Bei den Menschen in dieser finsteren Gasse von Ueno ist die WM nie angekommen und sie wird es auch nicht tun. In dieser Gasse geht es um andere Dinge als um ein 1:0, und dass man das hier überhaupt erwähnt, hat vielleicht damit zu tun, dass man doch ziemlich erschrocken ist, wie nahe die Dinge beieinander liegen können: die Gosse von Ueno und das große, bunte Fußballfest. Und auch die Menschen unter den Pappkartons sind erschrocken, dass ein Fremder sich hierher zu ihnen verirrt hat, man hat das an ihren müden Augen gesehen, die einen für einen intensiven Moment lang gemustert haben, bevor sich ihr Blick wieder abwendete. Kurz darauf hat man den Weg ins Hotel dann doch noch gefunden und die Menschen aus der Gasse in der eigenen Müdigkeit wieder vergessen, vielleicht hat man sie auch einfach verdrängt.
Es war nur einen Tag später und auf dem Weg zum Spiel, als man dann doch wieder an sie denken musste. Dass das gerade in dem Augenblick geschah, in dem das strahlend weiße Dach des Big Swan Stadiums von Niigata vor einem in der Sonne leuchtete, mag Zufall sein, kann aber auch mehr bedeuten. Dazu muss man wissen, dass Japan und Südkorea für diese WM nicht gekleckert, sondern sich einer im Fußball noch nie dagewesenen Verschwendungssucht hingegeben haben. Weit über zwei Milliarden Euro hat Japan allein für Neu- und Umbau seiner WM-Stadien investiert, mindestens noch mal so viel ging für die Infrastruktur drauf, das meiste finanziert vom Land und den Kommunen, die auch in Japan schwächelnde Wirtschaft hat sich da vornehm zurückgehalten.
Dafür hat das Land nun zehn Hightech-Fußballtempel, die mal aussehen wie ein gestrandetes Ufo (Oita) oder mal gänzlich überdacht sind (Sapporo), die den Rasen auf einem Kissen aus Luft hinaus ins Freie schweben lassen können – was natürlich eine feine Sache ist und dem Platzwart einen Arbeitsplatz an der frischen Luft garantiert. Maximal vier WM-Spiele finden in jedem dieser architektonischen Wunderwerke statt. Dass die Großarenen nach dem Fest ziemlich leer stehen werden, schon weil Fußball in Japan im normalen Leben so gut wie keine Rolle spielt und also auch an solchen Stadien kaum ein Bedarf herrscht, muss nicht weiter stören. Man wollte es einfach einmal erwähnt haben. Auch wegen der Menschen in der Gasse von Ueno.
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