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Archiv-Artikel

besuch bei der ex-geliebten von EUGEN EGNER

Letzte Nacht verspürte ich mit einem Mal das unwiderstehliche Verlangen, die alte Wohnung meiner Ex-Geliebten wiederzusehen, wo wir vor Jahren all diese schmerzlichen Auftritte hatten – ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Geheimagent verkleidet versuchte, gegen ihren Willen alle Möbel abzulecken, während sich ihr Vater im Nebenzimmer mit dem neuen Merkheft von Zweitausendeins am Boden herumwälzte und nach Geld schrie.

Ich zog mich also hastig an und lief kopflos in die Nacht hinaus. Wie damals rannte ich, den Hut fest auf den Kopf drückend, zur Bahn. Nach einer Gesamtreisedauer von drei Minuten war ich am Ziel. Ich überquerte den Bahnhofsvorplatz und schritt durch einen zwölf Quadratmeter großen Park, in dem man etwas Längliches mit Klumpen aufgestellt hatte. Hatte ich derartiges so oder so ähnlich bereits erlebt? Ich hätte es in diesem Augenblick nicht sagen können.

Wild mit den Armen rudernd, eigentlich schon um mich schlagend, rannte ich, immer fest mit den ganzen Flächen der Schuhsohlen auftretend, zum ehemaligen Wohnhaus meiner Ex-Geliebten. Der Klingelknopf war noch derselbe, aber nachdem ich ihn gedrückt hatte, öffnete mir eine wildfremde Person, die mich feindselig ansah. Nur widerwillig ließ sie mich ein, nachdem ich ihr vorgelogen hatte, ich sei Vertreter für mündelsichere Zahnbürsten.

Ach – was war aus dem alten Heim meiner Ex-Geliebten geworden! Weinend ließ ich mir alle Zimmer zeigen, von denen ich keines wiedererkannte. Das kam davon, wenn man einem unwiderstehlichen Verlangen nachgab! Wie hatte jener Mann, dessen Namen ich vergessen habe, immer gesagt: „Wein, Weib und nachher nichts als Ärger“, aber das passte jetzt überhaupt nicht. Das war keine Hilfe, nicht einmal ein Anhaltspunkt. Wie selten zuvor in meinem Leben fand ich mich komplett auf mich ganz allein zurückgeworfen, und ganz aus eigener Kraft erwuchs mir der Verdacht, mein spontaner Besuch an diesem Ort könne ein Fehler sein. Ich dachte nach. Wäre es nicht besser gewesen, daheim zu bleiben, zusammengeringelt auf der alten rosa Strickjacke meiner Ex-Geliebten? Da, wo ich wenigstens mehr oder minder alles wiedererkannte?

Die wildfremde Person fasste allgemach Vertrauen zu mir. Am Ärmel zog sie mich tiefer in die Wohnung hinein. Wenig später saß ich im vormaligen Salon. Er hatte jetzt schräge Wände. Die Person tanzte zu meinem Sitzen, dass die Sammeltassen im Büfett klirrten. Sie wollte, als sie richtig in Fahrt kam, gar die Dachpfannen hereinholen und vergolden, doch das erschien mir übertrieben. Vor Verlegenheit reparierte ich schnell sämtliche Elektrogeräte, was sonst gar nicht meine Art ist. Nun müsse sie mir aber endlich unser gemeinsames Kind zeigen, rief die fremde Person und überraschte mich damit nicht wenig. Es hatte ungefähr die Form eines Wasserkessels ohne Henkel. Anstelle der Tülle besaß es einen ausgestreckten Babyfinger. Ich berührte dessen Spitze mit der meines Zeigefingers und war entschlossen, es lustig zu finden. Zu dritt entwickelten wir dann noch ein völlig neuartiges, zukunftsweisendes Weltkonzept, das wir leider nach der dritten Flasche Psycho-Sirup wieder vergaßen.