berliner szenen: Kurzfilm in der Bundesbank
Bundesbank, Filiale Berlin. Schon die Eingangshalle ist respektgebietend. Ein Pförtner steht hinter Panzerglas, ohne Anmeldung darf niemand passieren. Im Wartebereich im ersten Stock sind 18 von 20 Stühlen besetzt. Die meisten, die hier eine Nummer gezogen haben, verfolgen regungslos das Voranschreiten der elektronischen Anzeige. Unser gemeinsames Anliegen: alte Münzen umtauschen. Ich habe auf dem Dachboden eine Schachtel mit Pfennigen gefunden. Mehrere Hundert dürften es sein, möglicherweise noch von den Vormietern. Am liebsten hätte ich sie weggeworfen, für vielleicht zwei Euro bin ich lange unterwegs, aber Kupfer und Stahl sind Wertstoffe. Ein alter Mann schichtet seine Geldstücke zu Türmchen auf. Wenn er an der Reihe ist und sie im Sicherheitsbereich abgeben darf, werden sie maschinell sortiert und gezählt. Vielleicht misstraut der Mann der Maschine, aber Zweifel interessieren hier niemanden. Ein Aushang informiert, dass Kontrollzählungen nicht vorgenommen werden. Ein Jüngerer hält einen schwer auf seinen Oberschenkeln lastenden Rucksack fest umarmt. Sollte er ausschließlich Münzen enthalten, wird der Mann Pech haben. Nur haushaltsübliche Mengen werden umgetauscht. Der junge Mann starrt angespannt auf die Anzeige. Plötzlich lockert er die Umklammerung und reibt mit einer Hand durchs rechte Auge. Seine Gesichtszüge entspannen sich – er hält eine Wimper auf dem Zeigefinger und guckt sie versonnen an. Sekundenlang. Die Digitalanzeige springt um, er sieht gar nicht hin, stattdessen pustet er die Wimper in die Luft. Eine Frau macht ihn auf die blinkende Nummer aufmerksam, aber er wendet sich ab, schultert seinen Rucksack und geht. Meine eingetauschten 3,43 Euro waren ein günstiges Ticket für die filmreife Szene. Claudia Ingenhoven
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