berliner szenen: Der ganze Zinnober war umsonst
Auf dem Weihnachtsmarkt überkommt mich die Lust auf Zuckerwatte. Vor mir bestellen grade zwei Kinder. Das größere sagt meinungsstark: hellblau! Die Wattefrau nickt, nimmt einen Beutel mit blauem Farbzucker und schüttet eine Menge davon in den Spinnkopf der Zuckerwattemaschine.
Gegen die Kälte trägt sie dicke Klamotten und einen Fellhut. Eigentlich zu klein gegen die Kälte, denk ich beim Warten, sitzt auch noch schief, aber vielleicht ist er ja nur Zierde. An ihren großen Ohrringen tanzen bunte Federn. Wir sehen ihr nun dabei zu, wie sie ein Holzstäbchen in die scheinbar leere Plexiglaskugel hält und damit geheimnisvolle Bewegungen vollzieht. Mal blitzt es hier ein wenig, mal dort. Und, hui, wie durch Zauberhand spinnt sich um den anfangs nackten Holzstab hellblaue Watte. Fertig. Magisch.
Orangsch! ruft jetzt das zweite Kind über die Theke, Kopf in den Nacken geworfen und wie eine Raubkatze den Mund öffnend. Dann noch mal leiser, mit einem kleinen Lächeln der Vorfreude. Die Wattefrau nickt. Nun also dieselben Handgriffe, mit viel Zinnober. Mein Blick fällt inzwischen aufs Schild ihrer Bude: „Zuckerwatte und Mehr“. Mehr? Ist sie auch Wahrsagerin – und die Kugel Assistentin? Muss man wohl extra erfragen. Der Stab beginnt wieder wie aus dem Nichts heraus Flaum zu bekommen. Hellblauen zuerst, noch von der Bruderwatte. Der Kleine guckt. Orange!, ruft er wie zur Erinnerung. Die Frau nickt wieder: Wird Orange! Passiert aber nicht. Orange!, beschwört sie die Kugel nun, dreimal. Das Blau entfärbt sich langsam. Eine Magierin, die es spannend macht.
Am Ende reicht sie dem Kind die Zuckerwatte – hellgraue. Der Kleine nimmt sie zögernd entgegen. Was hat sie denn da gezaubert?, frag ich. Er lächelt. Mirakel der Komplementärfarbentilgung. Felix Primus
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