berliner szenen: Ist sie’s etwa, nur schmaler?
Kürzlich war ich in ebenjenem Laden, dem ich längere Zeit aus dem Weg gegangen war. Den Eingang flankierten, ja blockierten zu Coronazeiten immer zwei Hünen, die ihre massive Biestigkeit in den ganzen Laden ausdünsteten. Nun erzählte mir ein Nachbar, dass dort ein besonderes Teenetz zu kaufen sei. Die Aussicht, dies Teenetz dort zu finden, wirkte auf mich wie ein Lockmittel. Dann schließ ich jetzt Frieden mit dem Laden, nehm ich mir vor, und zuckel hin. Die beiden Mannen sind Schnee von gestern, konstatiere ich zufrieden. Das besondere Teenetz jedoch suche und erfrage ich vergeblich. Dafür finde ich mich vor der Kasse mit den typischen Vorratshaltungsartikeln wieder: Tomatenmark, Karottensaft, Kapern, Q-Tips. Und mit einer mir scheint’s bekannten Person in der Warteschlange, deren Provenienz ich aber erst mal nicht herleiten kann. Fünf Kunden zwischen uns.
Wartend kann ich nachsinnen. Hab ich nicht kürzlich an ihrem Stand grüne Wackelpudding-Eier gekauft? In Neukölln? Bin unsicher. Mein zweiter Gedanke bereitet mir größere Aufregung: Die Inhaberin des Trödelladens nebenan, der vor drei Jahren inmitten, aufgrund der Pandemie schließen musste? Mit den Nerven am Ende, hatte sie mir damals gesagt, sie, die malerische, hochvitale und mit hundert Armreifen und Ringen bewehrte Matrone, die mir wie ein Anker gewesen war. Ist sie’s, nur schmaler, weniger schillernd jetzt, ohne klirrenden Silberschmuck? Von heute auf morgen war sie von ihrem Thron verschwunden; selbst ihre Privatnummer inaktiviert. Ist sie nicht, flüstre ich jetzt. Schaue auf ihre Schuhe. Nicht in solchen Schuhen. Oder? Kurz wende ich meinen Blick seitlich, um den Pappaufsteller noch mal auf das Teenetz zu prüfen. Flugs ist sie aus dem Laden. Hätte ihr nacheilen können. Tat’s nicht.
Felix Primus
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