berliner szenen: Nicht alle trauen sich das
Sie nimmt mich an die Hand, als wir die Treppe unseres Sportvereins hinuntergehen. „So mach ich das mit meiner Mama“, sagt N. lächelnd. „Langsam, langsam!“, ermahnt sie mich gleich darauf, weil ich ungeduldig bin und immer schneller werde. Ich wollte bei unserem Kickboxing-Training dabei sein, konnte aber wegen meines Kreuzbandrisses kaum mitmachen und blieb am Boxsack. Sie erzählt mir, dass ihre Mama trotz Knieverletzung immer weiter in die Berge gestiegen sei. Jetzt könne sie nicht einmal mehr davon träumen, es wieder zu versuchen. Jedes Jahr fliegt N. nach Schanghai, um ihre Mama zu sehen, denn wegen ihrer Gesundheit kann die Mama N. nicht in ihrer neuen Heimat Berlin besuchen. Als sie mir das erzählt, werde ich doch langsamer – ich möchte N. nicht verärgern. Die drei Etagen kommen mir wie eine Ewigkeit vor.
Sie ist auch wenig begeistert, dass ich schon zweimal wieder gejoggt bin. Das sei nicht gut für mich, meint sie, während wir die Weserstraße in der Kälte entlanggehen. Falls ich auf sie hören möchte, solle ich das mit dem Joggen lassen und nur dem folgen, was Ärztinnen und Physiotherapeutinnen empfehlen. Sie schüttelt den Kopf und ich fühle mich ein bisschen wie ein Kind, das zur Rede gestellt wird. Zugleich finde ich es auch süß, wie sie sich um mich kümmert. Nicht alle meine Freundinnen trauen sich, mir zu widersprechen, wenn ich stur darauf bestehe, mit dem kaputten Knie weiter Sport zu treiben.
Als wir an der Theke des Silverfutures sitzen, schweigen wir eine Weile. Sie rührt ihren Gin Tonic, ich trinke mein Bier. Das sei letztendlich nur ihre Meinung, sagt sie, und ich nicke. Es dauert einen Moment, aber dann gebe ich zu, dass sie recht hat. „Ich werde mich benehmen“, verspreche ich. Darauf stoßen wir an.
Luciana Ferrando
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