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berliner szenenKeine Wackel­giraffe mehr

Voller Angst und Vorfreude taste ich mich in den Park hinein. Ich mache die ersten zögerlichen Schritte über den Teppich aus Blättern – rot, gelb, orange. Zu dieser Jahreszeit zeigt sich die Hasenheide in der ganzen Farbpalette des Herbstes. Ich warte auf den richtigen Takt der Musik. Ich atme ein, hebe den rechten Fuß und jogge los.

Ein paar Tage zuvor laufe ich nach acht Wochen das erste Mal ohne die Orthese, die mein rechtes Bein nach dem Kreuzbandriss gestützt hatte. Ich muss nur die Neckarstraße hinaufgehen, und dann bin ich schon im Fitnessstudio, aber der Weg kommt mir länger als gewöhnlich vor. Da jetzt niemand sehen kann, dass ich verletzt bin, fühle ich mich verwundbarer. Aber: Ich fühle mich auch befreit, als hätte ich mein „echtes“ Bein zurückbekommen und könnte es endlich benutzen, wie ich möchte.

„Testen Sie das mal“, hatte die Chirurgin gesagt. „Nehmen Sie ab sofort die Orthese ab und kehren Sie in Ihren normalen Alltag zurück, um zu sehen, ob es sich instabil anfühlt.“ Ich machte große Augen. „Wirklich?“, fragte ich, und sie nickte. „Wie erkenne ich die Instabilität?“, wollte ich wissen, aber das konnte sie nicht genau sagen, weil ihr Knie gesund sei. Doch Patientinnen würden oft berichten, dass sie den Eindruck hätten, sie würden einknicken wie eine Wackelgiraffe oder ein neugeborenes Fohlen.

Davon spüre ich nichts. Nicht in der Neckarstraße und nicht in der Hasenheide. Desto mehr versuche ich, meine Impulse und meine Begeisterung unter Kontrolle zu halten. Ich bin vorsichtig und bleibe langsam, als ich meine Runde zurücklege. Ich verzichte, auf den Berg einzusteigen, ich sprinte nicht, ich tänzle nicht herum beim Joggen. Dennoch kann ich das Lächeln nicht aus dem Gesicht nehmen.

Luciana Ferrando

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