berliner szenen: Gruppe „Luciana’s Nurses“
Wie sie die Spritze vorbereiten, sehe ich von unten. Sie stehen vor den gelben Wänden meines Balkons, umgeben von Geranien, als wären sie Madonnen auf Heiligenbildchen, aber mit einer Waffe in der Hand. Im Sitzen falte ich meinen Bauch, atme ein, schließe die Augen, atme aus. „Fertig!“, sagen sie. „Und?“ „Alles super“, antworte ich, auch wenn ich den Schmerz noch spüre und die Stelle erst rot und dann blau wird. Keine von meinen Freundinnen hatte davor eine Spritze gesetzt. Doch alle schrieben mir das Gleiche: Für dich tue ich das.
Ich hatte eine Whatsapp-Gruppe angelegt, um alles zu koordinieren. Seit einer Woche brauche ich jeden Tag eine Anti-Thrombose-Spritze. Dass ich einen Fahrradunfall hatte, eine Schiene um das rechte Bein tragen muss und nur mühsam mit Gehstützen laufen kann, hatte ich ihnen allen schon erzählt. Auch, dass der Befund Kreuzbandriss lautete.
„Luciana’s Nurses“ schlägt jemand als Name für die Gruppe vor. Gute Idee. Für das Profilbild nehme ich eine Illustration aus dem Internet, eine „Vintage“-Krankenschwester mit einem Glas Rotwein in der Hand. Meine Freundinnen wechseln sich ab, um mich zu besuchen. Wir schießen Selfies und posten die Fotos unter dem Titel „Krankenschwester des Tages“.
Sie bringen Blumen, Bier und Chips mit. Wir lästern über Ärzte, sprechen über vielerlei, zum Beispiel über Partner*innen, Berliner Clubs, Kindheitserinnerungen und kommen über Krankenhausessen zurück zu meinem Bein. Jedes Mal, wenn ich auch nur den kleinsten Versuch mache, aus dem Liegestuhl aufzustehen, fragt meine diensthabende Pflegerin „Was brauchst du? Was willst du?“ Langsam wird es dunkel und tief in der Konversation versunken, vergessen wir, das Licht anzumachen.
Luciana Ferrando
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