berliner szenen: Urlaub machen ohne Girl
Ich wache schweißgebadet auf. Traum von numerisch guter Strafraumbesetzung. Beim Frühstück diskutieren wir die Frage, ob ein Momentum wirklich ausschlagen kann, in Richtung Schweiz oder sonst wohin. Ein Anruf: Wegen eines nicht gegebenen Elfmeters storniert ein Freund seine Englandreise. Dabei kann man vielleicht bald schon wieder bei Warp bestellen ohne irrwitzige Zollgebühren. Die Sonne scheint, da muss man an die frische Luft.
Die Wächterin am Märchenbrunnen sammelt Kippen und Kronkorken in ihrer Schürze. Sie schüttelt missbilligend das greise graue Haupt. Ordnungsliebend und stets adrett gekleidet, wie sie ist, hat sie hier nicht viel zu lachen. Ein Mann fotografiert die Enten, die stecken dauernd den Kopf ins Wasser. Ein Kind will es den Enten gleichtun, doch die Mutter erlaubt das nicht. Zwei Halbstarke stellen einen Gettoblaster auf den Brunnenrand und knacken Bierdosen. Die Wächterin wirft ihnen einen strengen Blick zu. Dann plärrt „Himmelblau“ von den Ärzten aus dem Rekorder und übertönt jedes Ressentiment, und uns wird langweilig und wir machen, dass wir weiterkommen.
Im Späti gibt es an diesem Wochenende einen unerklärlichen Run auf Colafläschchen zu 10 Cent. Toast Hawaii ist aus und jemand hat die taz geklaut. Im Freitag rettet Sahra Wagenknecht Deutschland. Ein Mops bespringt einen Corgi und Frauchen freut sich. Die neben uns haben andere Sorgen. „Ich will nicht immer am selben Ort Urlaub machen. Aber mit Girl ist das schwierig“, beschwert sich der eine. Der andere nimmt einen tiefen Zug und überlegt angestrengt. Der Rauch steigt auf wie aus einer Wunderlampe. „Ich weiß“, sagt er nach einer kleinen Ewigkeit. „Wie wär’s, wenn du mal ohne Girl verreist.“ Das haut rein wie Füllkrug. „Ey, geil“, ruft der mit Girl. „Dann kann ich auch endlich mal ausschlafen.“ Sascha Josuweit
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