berliner szenen: Da bleibt nur noch Siesta
Ein Knäckebrot und einen halben Apfel frühstücke ich auf dem Balkon. Mehr habe ich nicht: Ich bin wieder krank geworden, meine Vorräte sind leer, ich bin zu schlapp, um einkaufen zu gehen. Weil ich sie vermisse, trage ich das T-Shirt, das meine Freundin zum Schlafen trägt, wenn sie mich besucht. „Fiestas und Siestas“ steht darauf. Ich fand es in der Freebox am Herrfurthplatz, wir lieben es.
Der Nachbar, der gegenüber zum Rauchen auf seinen Balkon geht, trägt graue Klamotten, auch die Vorhänge seiner Wohnung sind grau. Wie gewohnt weint ein Kind irgendwo und jemand spült das Geschirr. Auf meinem Balkon selbst passiert ebenfalls eine Menge: Zu den unermüdlichen Spinnmilben haben sich Wanzen auf meinen Pflanzen gesellt und erkunden nun wie langsame Panzer den Avocadobaum. Die Tauben stehlen Zweige und werfen einen Blumentopf dabei um. Ich verfolge sie mit dem Blick bis zu ihrem zukünftigen Nest, das sie an einem Fenster im Haus gegenüber bauen.
Nach dem Frühstück versuche ich am Computer zu arbeiten – ebenfalls auf meinem Balkontisch. Und werde dabei nur abgelenkt. Zum Beispiel von einer Katze, die auf dem Dach des anderen Nachbarhauses verzweifelt miaut. Hat sie sich ausgesperrt? Ruft man dann die Feuerwehr? Sie wird jedoch gerettet und ich darf das Thema vergessen. Aber nun spielt mein Nachbar von oben Musik. Wie immer Leonard Cohen, und zwar so laut, dass alle die raue Stimme des Sängers genießen können.
Seit Neuestem hört er allerdings nicht nur „Take this Waltz“, sondern dazu auch „Take me to the End of Love“. Ich finde beide Lieder sehr schön, doch ich kann sie nicht bei jeder Stimmung hören. Ich gebe das Arbeiten auf, schließe die Balkontür hinter mir zu und mache eine Siesta.
Luciana Ferrando
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