berliner szenen: Es regnet, es regnet seinen Lauf
Ich bin froh, dass es regnet. Nicht nur für meine Pflanzen, die seit einigen Tagen kein Wasser von mir bekommen haben, sondern auch deshalb, weil ich nicht aufstehen kann. Es ist nicht schön, bei Sonnenschein krank zu sein. Und dazu noch am Wochenende.
Ich mache das Fenster auf. Es riecht nach nasser Erde und nassen Blättern gemischt mit gebratenen Zwiebeln – jemand kocht pünktlich zum Mittag. Ich trinke Tee, lese Zeitung und Comics. Es fühlt sich an wie Urlaub, nur dass ich Temperatur habe, es überall wehtut und ich schlecht gelaunt bin. Ich träume davon, zur Eisdiele zu gehen und danach mit Waffeln in der Hand die Schillerpromenade entlang durch den Schillerkiez zu spazieren. Ich würde den Wochenmarkt am Herrfurthplatz besuchen, den Händler*innen Hallo sagen und einen Blumenstrauß kaufen.
Nun, für all das bin ich zu schwach. Stattdessen beobachte ich meine neuen Nachbar*innen vom Gegenüber. Das Haus wurde jahrelang gebaut und stand lange leer. Als ich Ende Februar nach einem Monat im Ausland zurück kam, war das Gebäude auf einmal bewohnt. Doch es war noch Winter, ich sah das Licht in den Wohnungen brennen, aber nur selten die zugehörigen Bewohner*innen darin. Mit dem Eintreffen des schönen Wetters fing ich an, dort auch die Menschen zu entdecken – in ihren Schlafzimmern und auf den Balkonen. Aus dem Bett beobachte ich gerade den Nachbarn, der Yoga macht, und auch denjenigen, der immer zum Rauchen rausgeht und lächelnd auf sein Handy starrt. Weiter oben schaut ein glatzköpfiger Mann immer wieder aus dem Fenster.
Im Hof spielt ein Mädchen. Ich sehe sie nicht, aber ich höre sie singen. Von der dritten Etage aus kann ich das Lied nicht richtig erkennen, doch ich stelle es mir vor: „Es regnet, es regnet, es regnet seinen Lauf …“
Luciana Ferrando
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