berliner szenen: Dem Herrn mundet nicht alles
Hinter mir an der Kasse steht eine Frau mit einem Rauhaardackel, der einen grünkarierten regenmantelartigen Umhang und einen beeindruckenden Bart trägt. Er schnüffelt an meinem Schuh und guckt mich dann seltsam an. Wahrscheinlich ebenso wie ich ihn, denn ich finde, er sieht aus wie eine Mischung aus Sherlock Holmes und Gandalf aus dem Herrn der Ringe. „Sie scheinen gut zu riechen“, sagt die Frau. Sie ist blond, dauergewellt, trägt einen rotkarierten Regenmantel und einen Korb mit lauter Hundefutterdosen. Sie folgt meinem Blick in den Korb und sagt: „Dem Herrn mundet nicht alles. Ich muss extra hierher kommen, weil er nur dieses Hundefutter nimmt. Das kennt er seit 14 Jahren, und etwas anderes akzeptiert er nicht.“
„Ach“, sage ich, „er ist schon so alt, das sieht man ihm gar nicht an.“ Ich bücke mich, kraule dem Hund die Ohren und frage wie eine alte Tante: „Na, wie heißt du denn?“
„Graf Zahl.“ Ich muss lachen. „Wie der aus der Sesamstraße?“ Ich erinnere mich vor allem deswegen an die Figur, weil ich sie nicht mochte, fällt mir ein. „Hm, ja“, nickt sie. „Der Name kam vom Vater. Graf Zahl war sein ein und alles.“
Jetzt beugt sie sich herunter, tätschelt den Hund und sagt: „Nicht, mein Gutester, unser Vater ist nun aber vor zwei Wochen gestorben.“
Ich drücke ihr mein Beileid aus. Dann muss ich zahlen. Draußen bringe ich meinen Wagen zurück, als die Frau und Graf Zahl herauskommen. Sie zündet sich eine Zigarette an und sagt so halb zu mir, halb zum Hund: „Erst dachte ich, dass wir uns nie mögen werden, aber jetzt kann ich mir keinen Tag mehr ohne dich vorstellen.“ Der Hund guckt zu ihr nach oben, sie guckt zu ihm herunter. „Ne“, sagt sie, „als wäre der Vater noch ein Stückweit da.“ Und da sehe ich den Halt, den die beiden sich geben.
Isobel Markus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen