piwik no script img

berliner szenenDer Oleander lebt doch

Der Oleander ist krank geworden. Nach einiger Zeit fingen alle anderen Pflanzen auf dem Balkon an, die gleichen Symptome wie er zu zeigen. Deshalb, nachdem ich alle Internettipps und Empfehlungen von Freun­d*in­nen vergeblich ausprobiert hatte, musste ich eine Entscheidung treffen. Schweren Herzens stellte ich den Oleander im Hinterhof ab, da, wo schon einige tote Pflanzen meiner Nach­ba­r*in­nen stehen. Ausgetrocknete Kakteen, misslungene Zimmerorchideen, Balkonkräuter … Alle finden einen Platz auf diesem Pflanzenfriedhof.

Der Oleander gehörte E., mit der ich zusammen wohnte, bis sie 2014 nach Lissabon zog. Den Strauch nahm ich (wie viele ihrer Sachen) zu meiner neuen Wohnung mit. Da ist er immer größer geworden und eines Tages wurde aus ihm ein Baum. Schon im Juni gingen seine rosa Blüten auf, seine Blätter rauschten im Wind und ihre Schatten tanzten auf dem Balkonboden. Der Duft kam durchs Fenster bis in die Küche rein. Ich dachte bei ihm oft an das Mittelmeer. Im Winter hatte er einen festen Platz, neben der Couch, den er zu mögen schien.

Als die Freundin zurück nach Berlin zog, entschieden wir, dass der Oleander bei mir bleibt und sie ihn besuchen kommt – als wären wir ein getrenntes Paar und er unser Kind. Letztes Jahr machten E. und ich tatsächlich eine Pause von unserer Beziehung. In dieser Zeit ist der Oleander krank geworden und ich habe ihn irgendwann für tot erklärt.

Eines Tages entdeckte ich, dass jemand ihn im Hof gepflanzt hatte. „Ob er überlebt?“, fragte ich mich. „Vielleicht nimmt die Kälte ihm die Krankheit weg?“ Ein Nachbar beobachtete mich, wie ich den Oleander nachdenklich beobachtete. Er zeigte auf ihn. „Er ist hässlich, oder?“, fragte er. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Am Ende nickte ich nur und ging. Luciana Ferrando

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen