berliner szenen: Krippe, Mann und Smartphone
Letzte Probe vor dem Krippenspiel. Für die Kinder scheint es kein lästiger Termin zu sein, manche freuen sich richtig aufeinander. Zwei siebenjährige Jungen treffen sich als alte Kita-Freunde hier in der Kirche wieder, und Maria und Josef, die beiden 14-Jährigen, probieren neben ihrer Rolle auch Nähe zueinander aus. Im Hintergrund warten Oma oder Vater, manche sind aber auch heilfroh, die Kinder hier für anderthalb Stunden abliefern zu können. Dass die alles verstehen, was sie da auswendig gelernt haben, kann man getrost bezweifeln. Dabei sein ist alles, und Verkleiden macht Spaß.
Mittendrin kommt ein auffallend gut aussehender Mann herein. Sein langer schwarzer Mantel liegt bis zur Taille eng an und weitet sich nach unten glockenförmig, wie bei einem brasilianischen Priester. Er steuert die zweite Reihe an und guckt irritiert auf die rumliegenden Kinderrucksäcke und Engelsflügel. Ohne vom Krippenspiel Notiz zu nehmen, stellt er schließlich weiter hinten zwei Smartphones vor sich auf. Links aktiviert er einen Text, rechts einen Chor. Er kniet sich hin und murmelt ein Gebet. Einige Kinder drehen sich um, man soll doch mucksmäuschenstill sein, wenn gerade die Hirten an der Reihe sind, aber das Gemurmel stört sie nicht weiter. Jetzt hebt der Mann die Hände, an jedem Mittelfinger ein steinbesetzter Ring. Er verfolgt offenbar live eine lebhafte Liturgie, die anderswo auf der Welt abgehalten wird, und nutzt diesen sakralen Raum, um sie zu spüren. Vielleicht passen die Kinder sogar besser dazu als die Leere an einem normalen Montagnachmittag.
In der Probenpause spricht ein Junge den Mann mit den Handys an. „Du hättest uns ja auch ruhig mal zugucken können.“ Der Angesprochene reagiert nicht. „Also ich zum Beispiel sag immer: Und über dem Stall leuchtet ein heller Stern.“ Claudia Ingenhoven
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