piwik no script img

berliner szenenFalsche Fahrschein­kontrolle

In der vollen S-Bahn am Nachmittag besetzt ein Mann drei Sitze gleichzeitig. Er sitzt breitbeinig auf zwei Sitzen, seinen Rucksack hat er auf den Platz daneben gestellt. Als ich ihn bitte, etwas Platz zu machen, damit ich mich setzen kann, sieht er über seiner Maske unbeweglich nach vorn. Ich versuche es auf Englisch, aber der Mann reagiert einfach nicht. Ich sehe mich kurz um. Gegenüber sitzen zwei Frauen und sehen den Mann missbilligend an.

„Hallo“, sage ich lauter, da löst sich ein Mann aus dem Gespräch mit einem Freund. Er trägt einen roten Bart und zückt einen Ausweis. „Fahrscheinkontrolle“, sagt er zu dem Mann und zu mir gewandt: „Hab eigentlich Feierabend, aber na ja. Zeigste mir deinen auch?“ Ich zeige ihm meine Karte und er bedankt sich.

Der Mann zeigt widerwillig seinen Fahrschein vor, der Kontrolleur nickt: „Und die zwei anderen, bitte.“

„Wat?“, fragt der Mann mit der Maske. „Na die Tickets für die Plätze links und rechts“, sagt der Kontrolleur. „Wat soll’n dit?“, fragt der Mann, und der Kontrolleur sagt: „Dann räumen Sie bitte die Plätze und lassen auch andere Fahrgäste sitzen.“ Der Mann brummelt und nimmt seinen Rucksack auf den Schoß. Ich setze mich und lächele eine ganze Weile bloß so vor mich hin.

An der Yorckstraße steigen der Kontrolleur und ich aus. Er zwinkert mir zu und aus einer spontanen Eingebung heraus frage ich: „Bist du eigentlich wirklich Kontrolleur?“ Er grinst: „Schauspieler.“ Ich muss lachen. „Und was war das für ein Ausweis?“, frage ich. „Meine Krankenkassenkarte. Guckt doch sowieso keiner richtig drauf.“

Unten an der Treppe verabschieden wir uns und ich wünsche ihm noch schöne weitere Kontrollen. „Nee“, sagt er, „für heute ist mal Schluss. Ist ja auch ganz schön aufregend.“ Und das verstehe ich gut.

Isobel Markus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen