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berliner szenenGerangel um ein Fahrrad

Es ist einer der letzten warmen Tage und ich sitze in einem Straßencafé in Schöneberg, trinke einen Kaffee und versuche, das ruhige, französische Gefühl aus dem letzten Monat in der Bretagne zu finden. Es gelingt mir nicht recht, aber ich bin trotzdem froh, wieder in der Stadt zu sein.

„Das ist ein gutes Zeichen. Wenn man sich immer wieder freut, nach Hause zu kommen, ist man am richtigen Ort“, sagte die Mutter einer Freundin einmal. Ich denke bei jeder Rückkehr nach Berlin daran.

Am Tisch neben mir sitzt eine junge Frau. Sie hat einen Chai Latte vor sich und scrollt in ihrem Handy herum. Ich nippe an meinem Kaffee und atme aus. Berlin kommt mir gerade ähnlich ruhig vor wie die Bretagne.

Ein Mann auf einem Fahrrad fährt vorbei. Da springt die Frau neben mir auf, ihr Stuhl schlägt an die Mauer und sie brüllt aus Leibeskräften: „Ey! Stop! Das ist mein Fahrrad!“

Sie rennt los, erwischt den Mann auf dem Fahrrad noch vor der nächsten Ecke, hält ihn am Gepäckträger fest und bringt ihn so zum Stehen. Dabei brüllt sie wie ein Löwe, er solle absteigen, was ihm einfiele, das sei ihr Rad, das habe sie dort vorne angeschlossen, wo das Schloss sei, runter da. Der Mann weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Sie schreit weiter, greift dabei nach dem Lenker und zieht ihn zu sich, kurz entsteht ein Gerangel, sodass ich aufstehe, aber sie schafft das ganz allein. Der Mann lässt das Fahrrad tatsächlich los.

„Verpiss dich! Sonst ruf ich die Polizei“, schreit sie. „Hau bloß ab.“

Das macht er auch. Er geht. Sie kommt mit dem Fahrrad an den Tisch zurück, ihr Gesicht ist gerötet, ihre Augen sind groß und sie ist außer Atem. „Das ist mein Fahrrad“, sagt sie zu mir. Ich nicke und finde: „Das war echt cool.“ Sie stellt das Fahrrad neben den Tisch, setzt sich und tippt in ihr Handy. Isobel Markus

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