berliner szenen: Gott am See suchen
Mit einem Schlag wurde es herbstlich. Aber ich will weiter im Flughafensee schwimmen, am FKK-Strand. Ein paar angezogene Leute stehen an dem kühlen Tag dort herum. Ich will meine Sachen auf einer Bank ablegen, frage, ob die besetzt ist, nein, nein, heißt es, und ich erfahre sogleich, dass die Leute nicht zum Schwimmen da sind, sondern weil eben eine Taufe stattfand. Wie die Glaubensgemeinschaft heißt, will ich wissen. „Wir haben keinen Namen. Wir sind Christen.“ Ob es sie störe, wenn ich mich nackig ausziehe? Sie verneinen.
Als ich aus dem Wasser komme, stehen ein Dutzend Leute genau da, wo meine Sachen liegen und beglückwünschen den Täufling. Jetzt, wiedergeboren, mit neuem Namen versehen, seien ihm seine vergangenen und zukünftigen Sünden vergeben, höre ich. Nackt zwänge ich mich an ihnen vorbei und ziehe mich schnell an.
Ein junger Mann mit Sekt im Pappbecher nutzt die Chance, mein Interesse am christlichen Glauben abzuklopfen. Ich zeige Skepsis. Er lässt nicht locker, erzählt vom Wort Gottes, das ihm half, seine kriminelle Drogenkarriere zu überwinden und das er nun in die Welt tragen wolle, wie es in der Bibel stehe. Warum er meint, für ein zweitausend Jahre altes Buch werben zu müssen, frage ich? Weil es von Gott komme. „Als es geschrieben wurde, gab es keine Atombomben, keine Klimakrise, kein Internet. Wie fließt all das in Ihre Interpretation ein?“, will ich wissen. „Gott ist Erlösung“, antwortet er.
Als ich wegfahren will, steht ein Mann mit Sekt im Pappbecher oben bei den Fahrrädern. „Ganz schön schräg“, sagt er. Das irritiert mich, er gehört doch dazu. Nein, er sei der Vater des Täuflings, und deswegen angereist. Er fände es komisch, was die machen, sagt er bekümmert. Ich nicke und sage, dass ich es trotzdem gut finde, dass er gekommen ist.
Waltraud Schwab
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