berliner szenen: Die Zukunft von Mutter und Kind
Die Sonne knallt in das Abteil der S-Bahn. Die Luft steht vor Hitze und fast meine ich, dass sie weiter hinten im Gang flimmert, so wie über einem Feld oder einem Strand an solchen heißen Tagen. Auch die geöffneten Klappfenster bringen während der Fahrt kaum Erleichterung. Als der Zug in einem schattigen Bahnhof hält, atmen alle kurz auf. Mir steht der Schweiß auf der Oberlippe. Ich wische ihn verstohlen weg. Gegenüber sitzt ein Mann mit einem grauen Hemd, das durch das Schwitzen ein interessantes Muster aufweist. Ich denke an die bevorstehenden Hitzewellen der nächsten Jahrzehnte und merke, wie mir ein Schweißtropfen den Nacken herunterrinnt.
Neben mir nimmt eine Mutter mit ihrem kleinen Jungen Platz. Sie trägt ein rosa Kopftuch, darunter ein geblümtes Kleid und eine lange Flatterhose. Ich staune, wie sie das aushält. Ihr kleiner Junge ist vielleicht sechs Jahre alt und redet die ganze Zeit. Er stellt Fragen oder bemerkt Dinge wie: „Die andere S-Bahn kommt in elf Minuten“, „Hast du den Mann mit dem Hund gesehen?“ „Die Mädchen haben ein Eis“ und „Steigen wir Yorckstraße aus?“ oder „Jetzt sind wir bald da, ja?“
Seine Mutter antwortet nicht. Kein einziges Mal. Sie reagiert gar nicht, sieht ihn auch nicht an, starrt mit leerem Blick vor sich her, als wäre sie gar nicht richtig da. Einmal sieht sie aus dem Fenster, da nimmt der Junge ihre Hand und sieht sie wieder an. Sie lässt es geschehen, aber sie erwidert seinen Blick nicht, ihre Augen sind ausdruckslos.
Als sie an der Yorckstraße aussteigen, sehe ich durch das Fenster, dass der Junge ihre Hand nicht mehr losgelassen hat. Ich schlucke, denn während sie sich orientiert, sieht er zu ihr hoch, und auf seinem T-Shirt steht in großen grünen Lettern: We see the future.
Isobel Markus
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