piwik no script img

berliner szenenDu bist auch ein Gotteskind

Gerade saß ich vor einem Café in Kreuzberg und schrieb eine Berliner Szene auf, als sich ein alter Mann zu einem alten Mann an den Nebentisch setzte. Irgendwie kannten sie sich von früher und jetzt, nach langer Zeit, liefen sie sich zufällig über den Weg. Der eine Mann, der schon am Tisch saß, war gerade mit seinem Frühstück beschäftigt. Gekochtes Ei, Brot, Käse, Croissant, Marmelade, Milchkaffee und Orangensaft – das volle Programm.

Der andere bestellte sich einen Kaffee. Er fiel schon allein durch seine Klamotten auf, denn er trug ein blaues Hemd mit weißen Hawaiiblumen auf Höhe der Brust, einen Strohhut und eine orangefarbene Sportjacke von einem Berlin-Marathon – das verriet der Aufdruck am Rücken. Sie redeten über dies und das, über Alltäglichkeiten, über die pflegebedürftige Mutter, die aber inzwischen schon gestorben war, über alte Bekannte, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatten – ob sie überhaupt noch lebten?

So ging das etwa eine halbe Stunde, bis der eine mit dem Hawaiihemd sagte: „So, ich muss dann mal weiter.“ Und dann kam, aus dem Nichts heraus, Gott ins Spiel. Als eine Art Abschiedsgruß meinte er: „Du bist auch ein Gotteskind. Bete mit ihm. Nicht nur, wenn du Sorge hast, sondern auch, wenn alles gut läuft.“ Irritiert schaute ich zu den zwei Männern. Da sein Gegenüber nur mit einem zaghaften Nicken darauf reagierte, redete der Mann mit dem Hawaii­hemd einfach weiter: „Wie Petrus geschrieben hat: Alle Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Kurz war es still, niemand der beiden Männer sagte etwas.

Dann sagte der, der schon saß, als der andere kam, und der jetzt weiter sitzen blieb, als der andere aufstand: „Die Welt ist krank und die Erde ist rund.“ Der Mann mit dem Hawaiihemd nickte nur, bevor er davon ging.

Eva Müller-Foell

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen