berliner szenen: Am liebsten allein unter Menschen
Ich will nicht zu mir nach Hause, auch wenn es schon Mitternacht ist und ich an diesem Samstagabend alleine durch die Straßen Neuköllns hin- und herumlaufe. In meinen Stammspätis finde ich keinen Platz. Sie sind so voll, dass man nicht einmal eine leere Bierkiste zum Sitzen bekommt. Ich könnte genauso gut Bier trinken und von der warmen Frühlingsluft auf meinem Balkon profitieren. Doch am liebsten würde ich unter fremden Menschen bleiben. Ich habe Lust, sie zu beobachten und ihre Konversationen zu belauern, während ich ein bisschen so tue, als würde ich auf jemanden, der nicht kommt, warten.
Das Handy dient optimal als Alibi dafür. Es sieht so aus, als würde ich mir mit dieser Person Nachrichten hin- und herschicken. Heimlich mache ich mir allerdings Notizen: Ich schreibe einzelne Sätze; Geschichten, die ich erzählen will und auch das, was dort live vor Ort geschieht auf: Jemand verkauft Straßenzeitungen und fragt nach Geld „für Drogen“, jemand macht Ärger, der Spätiverkäufer bittet alle, leiser zu sein.
Ich denke an den Protagonisten eines brasilianischen Films zurück, den ich vor Jahren in der Berlinale gesehen habe. Als einsamen Mann fühlte er sich in Menschenmassen am wohlsten und verbrachte deswegen fast seine ganze Zeit zwischen Rolltreppen in Einkaufszentren, Fußballstadien, Flughäfen …
Auch, wenn das allgemein nicht mein Fall ist, kann ich ihn manchmal (wie heute Abend) nachvollziehen. Ich mag es manchmal auch, unter Menschen zu sein, aber nicht mit ihnen sprechen zu müssen, unsichtbar zu werden.
Endlich finde ich einen Tisch an einem Späti in der Flughafenstraße. Doch als die Gruppe von meinem Nebentisch geht und ich als Letzte da bin, stehe ich auch auf und mache mich schließlich doch auf den Weg nach Hause.
Luciana Ferrando
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