berliner szenen: Kampf über dem Latte Macchiato
Emsig zieht ein Spatz einen Wurm aus dem Stückchen Erde zwischen Pflastersteinen und Maschendrahtzaun. Fliegt über drei rothaarige Köpfe und Latte Macchiato an einem Tisch und eine blonde Frau, die über ihren Laptop gebeugt ist. Im Efeu unterm Dach des kleinen Schuppen-Cafés in Friedenau wartet das Spatzenbaby auf den Happen, reißt den Schnabel auf und piepst lautstark, sodass der Wurm ja nicht sein Ziel verfehlt – obgleich es Einzelkind ist. Kurze Stille und das Gequietsche geht weiter. Der Spatz fliegt wieder davon.
Die Sonne scheint, es ist warm, der Außenbereich des Cafés gut besucht. Die Frau mit Laptop kommt zu mir herüber, fragt, ob sie um meine Meinung bitten dürfe. „Ja, warum nicht“, sage ich. Sie sei Grafikdesignerin, sagt sie, und arbeite an einer Facebook-Werbung für junge Frauen. „Ok“. Die Anzeigen erinnern mich an Gesuche nach Klinikstudienprobanden in der U-Bahn. Es gehe um Lebenscoaching, erklärt sie. Und richte sich an überlastete junge Frauen. Ich bin, glaube ich, keine große Hilfe. Sie bedankt sich und geht zurück zu ihrem Tisch.
Da ertönt hysterisches Kreischen aus dem Nest unterm Dach. Eine Krähe schwebt darüber. Der Eltern-Spatz – so winzig gegenüber dem grauschwarzen Vogelvieh – fliegt gegen dessen Rücken. Seine mächtigen Flügel erheben sich. In den schwarzen Krallen kreischt das Spatzenküken aus voller Kehle. Sein aufgerissener Schnabel leuchtet als gelbe Raute. Mittlerweile hüpfen und jammer-quietschen beide Elternspatzen auf dem nun leeren Nest. Der Rabenvogel gleitet mit wenigen Flügelschlägen über meinen Kopf zum gegenüber liegenden Häuschen auf die Regenrinne, wo das kreischende Küken hineinplumpst. Die Krähe krallt sich an die Regenrinne und hackt hinein. Flauschige kleine Federn fliegen empor und schweben nach unten. Stille. Leila van Rinsum
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