berliner szenen: Liebe auf den ersten Blick
Das erste Mal, als ich am Hermannplatz war, fand ich ihn hässlich und verliebte mich gleichzeitig in ihn. Die Markthändler*innen riefen Preise und Produkte laut vor sich hin, viele Menschen hingen bei der Skulptur „Tanzendes Paar“ oder vor Karstadt herum.
Der Treffpunkt unserer Mitfahrgelegenheit war gegenüber dem Platz vor dem McDonald's. Wir wohnten noch in Münster, doch ich sah Berlin nicht mit den Augen einer Besucherin, ich fühlte mich hier direkt zu Hause. Die Stadt (und vor allem Neukölln) erinnerte mich an meine Heimatstadt Buenos Aires – dreckig, chaotisch, voller Leben. Unsere Bleibe war aber in Friedrichshain. Wir übernachteten in der Einzimmerwohnung einer Freundin, deren Fenster zu einem alten Friedhof guckten. Wir schliefen auf einer Matratze neben ihr, und ich mochte es, dass sie als Allererstes, wenn sie wach war, den Plattenspieler einschaltete und Bands wie El Guapo spielte. Es roch nach frisch gekochtem Kaffee, gebratenem Tofu und Backofenbrötchen. Ich fand alles cool und wäre am liebsten sofort nach Berlin gezogen. Dafür brauchte ich allerdings noch drei Jahre.
Münster fühlte sich für mich wie ein Dorf an. Ich war es in Buenos Aires nicht gewohnt, jeden Tag denselben Menschen zu begegnen (manchmal mehrmals am Tag). Es schien, als ob alle über alle Bescheid wüssten. Ich vermisste die Anonymität einer Großstadt und die Kontraste, wovon ich in Berlin seit mittlerweile 13 Jahren wieder genug habe. Die Freundin von damals verlor ich aus den Augen, der Hermannplatz wurde Teil meiner Routine. Wenn ich ihn jetzt mit dem Rad überquere, schimpfe ich manchmal mit Autofahrer*innen und Fußgänger*innen. Wenn ich von ihnen so genervt bin, vergesse ich, wie sehr ich diesen Ort liebe.
Luciana Ferrando
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