piwik no script img

berliner szenenIm Blech hocken und daddeln

Der große weiße Laster steht an einer Kreuzung am Kottbusser Damm und wartet behutsam darauf, rechts abbiegen zu können. Das defensive Verhalten des Fahrers erkennt man an dem freundlichen Abstand, den er zum Fahrradstreifen einhält. Durch die Frontscheibe kann ich sein Gesicht sehen. Es ist rund mit einer großen Brille. Der Mann hat weiße Haare, seine Gesichtszüge wirken angespannt und über den Tag hinaus erschöpft. Vielleicht hat er das Rauchen schon lange aufgegeben und auch das Feierabendbierchen bekommt ihm nicht mehr so. Vielleicht tut ihm trotzdem abends manchmal das Herz weh wegen all den Achtlosen und Leichtsinnigen, die ihm Tag für Tag beinahe unter die Räder laufen oder radeln. Es macht ihm auch keinen Spaß, von hinten angehupt zu werden, weil er nicht losspeedet wie ein Gesengter, wenn die Ampel grün wird. Die Rente sehnt er herbei und gleichzeitig fürchtet er sich vor ihr. Endlich hat er freie Bahn und setzt sein schweres Gefährt wieder in Gang.

Am Straßenrand oder in der zweiten Reihe hocken unbeleckt von solchen Nöten Kfz-Halter:innen in ihrem Blech und lassen den Motor laufen. Soll ja schön mollig sein, wenn sie am Handy daddeln. Könnten sie doch einmal sehen, was für ein peinliches Bild sie abgeben. Und was für ein Spaß wäre es, wenn ich aus meinen Augen Pfeile auf ihre Autoreifen abschießen könnte!

Kai Wegner ist gegen die Vergesellschaftung von Wohnraum, weil dann keiner mehr baut, sagt er. Auf seinen Plakaten warb er um alle Berliner, besonders um die Autofahrer. Ohne * und -Innen. Offenbar hat das gefunzt, denn anders als seinerzeit Frankie – „der Kennedy von der Spree“ – Steffel hat die CDU fett gewonnen. Im Moment gibt sich Herr Wegner sehr kulant und grünlich. Aber niemand muss um seinen Parkplatz bangen.

Katrin Schings

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen