berliner szenen: Nach der Sitte des Landes
Kann es eine schönere Einstimmung auf Weihnachten geben, als das Kulturinstituts eines Landes zu besuchen, das gerade einen gnadenlosen Angriffskrieg führt? Während russische Soldaten in der Ukraine Kinder foltern, Frauen vor den Augen ihrer Angehörigen vergewaltigen, Zivilisten umbringen und die technische Infrastruktur des Landes zurück in die Steinzeit bomben, kann man sich in der deutschen Hauptstadt im Russischen Haus eine Ausstellung mit goldigen Fotos über den Silberfuchs ansehen.
Auf der Friedrichstraße erstrahlt vor dem russischen Kulturinstitut ein hoher Tannenbaum in festlichem Licht. Im großzügigen Foyer türmen sich in glänzende Folie eingepackte Weihnachtspakete. Der Posten, der nach Landessitte den Besucher über sein Begehr verhört, liefert die passende Einstimmung für den Besuch. Wer das Glück hat, anschließend nicht aus dem Fenster geworfen zu werden, kann sich im ersten Geschoss hübsche Zeichnungen von den begabten Schülern der Zeichenschule im Haus ansehen.
Im Kino läuft neben einer Retrospektive von Andrei Tarkovsky der Film „Peter’s Great Trip“ über das Reich von Peter dem Großen, damit man Bescheid weiß, welche Zarenreichs-Träume in Russland gerade verfolgt werden. Produziert wurde der Film von dem Propagandasender Ruptly, der in Deutschland verboten ist. Und in einer Präsentation von Tourismusplakaten aus der UdSSR wird für den Besuch der Krim und von Odessa geworben.
Danach kann man sich in einem Café mit Blini und Glühwein für rekordverdächtig billige zwei Euro stärken. Und irgendwo im Hintergrund hört man jemand darüber lachen, dass Kriegsverbrecher sich mitten in der deutschen Hauptstadt so unverschämt produzieren können, ohne dass es irgendjemand juckt.
Tilman Baumgärtel
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