berliner szenen: Wo ist der Prophet mit dem Bart?
Ich bin auf einer Party in Brandenburg, zu der mich die Nachbarn von Freunden eingeladen haben. Sie feiern dort im Elternhaus des einen Ehemanns, dass sie mittlerweile seit fünf Jahren verheiratet sind. Der andere Ehemann kommt ursprünglich aus Polen und Deutschland ist für ihn wie eine Befreiung gewesen, erzählt er. „Ich hatte das Gefühl, ich konnte endlich wieder durchatmen“, legt sich beide Hände auf die Brust und atmet tief ein, damit wir verstehen, was er meint. Wir nicken, aber ich bin nicht sicher, ob wir das wirklich verstehen können.
In der Küche gibt es veganes Chilli, Bowle und andere Getränke. Im Wohnzimmer sitzen Leute auf einem Sofa unter einem Bild mit einer Berglandschaft, das von Discolicht flackernd beschienen wird, dazu läuft Techno. Ich fühle mich wie auf den Partys von Klassenkameraden in den 90ern.
Draußen im Garten steht eine Feuerschale mit Bänken. Ich setze mich und starre wie der Typ neben mir abwechselnd ins Feuer oder in den Himmel über uns. Der Sternenhimmel ist hell und weit und liegt wie eine Halbkugel über uns, durchkreuzt von der Milchstraße. Der Typ folgt meinem Blick. „Dieser ganze Kummer auf der Erde“, sagt er, „Alles nichts gegen das da.“
„Ja, das relativiert ziemlich viel“, stimme ich zu. „Vergisst man nur und es nützt ja auch nichts im eigenen Kummer.“
„Nee, Persönliches ist immer wichtiger und das, was eigentlich wichtig ist, wie das Klima, ist anscheinend noch nicht persönlich genug. Aber das wird kommen.“ Er schaut düster. „Wir werden das alle noch sehr persönlich nehmen.“
Ich sehe ihn an. Sein Bart im Profil ist lang und leuchtet orangerot. Ich muss an einen Propheten denken. Irgendwann steht er auf und geht ins Haus. Als ich mich später drinnen nach ihm umsehe und dann erkundige, weiß niemand, von wem ich spreche. Isobel Markus
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