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berliner szenenGleich spielt Brasilien

Als ich vom Einkaufen nach Hause komme, rennt mich im Hausflur beinahe ein Weihnachtsmann um. Er scheint es sehr eilig zu haben. Na klar, die Saison hat längst begonnen, und wäre nicht gleichzeitig die Fußballweltmeisterschaft in Katar, dann wäre ich statt im Fußballfieber unter Umständen tatsächlich vielleicht auch im Adventsfieber. Zwei Fieber kann ich mir aber nicht erlauben. Dann schaffe ich meinen Tag nicht.

Das habe ich auch meinen Töchtern gesagt. Die haben mir einen Vogel gezeigt und mir zum wiederholten Male erläutert, warum es total uncool ist, sich diese WM-Spiele überhaupt anzuschauen. Ich solle „die Adventszeit einfach intensiver begehen“, meinten sie und grinsten altklug, das sei „doch ein schöner Ausgleich“. Also ehrlich, dachte ich, sie haben gut lachen. Sie pfeifen schon seit Jahren auf den Advent. Und an den albernen Spuk mit dem Weihnachtsmenschen glauben sie nicht mehr, seit ich einmal unseren Nachbarn, den Studenten João, bitten musste auszuhelfen, weil Inga, unsere langjährige Weihnachtsfrau, wegen der Geburt ihres ersten Kindes abgesagt hatte. João machte seine Sache eigentlich gut.

Nur die Kinder hatten Probleme, sich mit einem Mann als Weihnachtsmenschen abzufinden, und den abgetragenen rotbraunen Wintermantel, den ich ihm für seinen Auftritt leihen musste, erkannten sie umgehend als meinen und behielten das auch nicht für sich. Peinlich! Ich schämte mich sogar. Aber nur für zwei Minuten. Dann war das Theater wieder vergessen und meine Töchter wollten ihre Geschenke auspacken. João macht diesen Job seitdem jedes Jahr für eine Agentur. Als ich ihm heute im Hausflur nur so zum Spaß „Froher Advent!“ hinterherrufe, dreht er sich um und sagt: „Mein Fernseher ist kaputt. Und gleich spielt Brasilien. Kann ich bei dir schauen?“ Henning Brüns

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