berliner szenen: Ibu und Bier, keine gute Mischung
Das gedämpfte Licht machte die Konturen weich, die Spuren der Zeit verschwanden in der Dunkelheit. Die apfelsinenfarbenhaarige Frau auf dem Barhocker gegenüber hatte ein Leuchten auf den Wangen. Das Nylon ihrer Strumpfhosen knisterte, sobald sie die Beine übereinanderschlug. Ihr schwarzes Kleid passte zum Mobiliar. Emma redete weiter von einem möglichen Leben mit Hund. Sie litt, wie sie meinte, an allgemeiner Vergeistigung und suchte nach körperlichem Ausgleich. Lange Spaziergänge am Landwehrkanal, Bewegung an der frischen Luft oder auch milder Kampfsport. Kompensation für die Anforderungen im Schulbetrieb.
Ob sie einen Freund hatte? Einen Ex, den sie vergessen musste? Ich wusste es nicht, es interessierte mich auch nicht weiter. Wenn sie redete, blieb ich stumm wie ein Fisch. Ich hörte zu, erwiderte so gut wie nichts, und hielt das fast für eine gute Taktik. Dabei fühlte ich mich wie ein Kind, das auch meist nicht viel redet.
Das alles konnte natürlich auch an den ganzen Tabletten liegen, die ich den Tag über eingeworfen hatte. Ibu und Bier, keine gute Mischung. Immerhin, die Nackenschmerzen waren nicht so heftig wie die Tage zuvor. Wie auf Stichwort erschien jetzt ein Negroni vor ihr, bittersüß und blutig. Sie nippte daran und warf mir einen fragenden Blick zu, vielleicht sollte ich tatsächlich einmal etwas von mir geben, so banal es auch war. „Ich bin da anders“, sagte ich endlich. „Mein Leiden ist zuerst ein körperliches. Irgendwas tut weh, daran erst merke ich, dass es mir nicht gut geht.“
Im Vergleich kam ich mir ziemlich faul vor. Doch meine Zeit war begrenzt, und ich hatte eben erst begonnen, sterben zu lernen. Den Satz sprach ich allerdings nicht aus, sondern dachte ihn mit der Nase in mein Bier hinein. Emma nickte nur.
René Hamann
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