berliner szenen: Im Halbschlaf in der U7
Mit einem Seufzer blicke ich auf die gerade einfahrende U7. Die Bahn wird immer langsamer, sodass ich die eng aneinander gedrängten Personen und ihre Gesichter immer besser erkennen kann. Sie scheinen es zu bereuen, heute Morgen aufgestanden zu sein. Ein paar Leute steigen aus, die in der U-Bahn Verbliebenen scheinen kurz aufzuatmen, bevor der neue Schwung von Passagieren kommt. Schnell greife ich nach einer freien Stange zum Festhalten. Die Türen schließen sich und alle kippen leicht nach hinten, als der gelbe Blechkasten zu fahren beginnt. So geht das ein paar Stationen weiter. Anhalten, aussteigen lassen, durchatmen, Platz machen für die Zugestiegenen, leicht nach hinten kippen.
Ich höre ein Münzklappern und lasse mich unbeeindruckt an die Stange drücken, als die Menge Platz für einen Obdachlosen macht, der sein Glück bei den Halbschlafenden versucht. Manche Obdachlose sieht man so oft, dass sie einem fast schon vertraut sind. Er ist einer davon. Etwas ist jedoch anders: Er bewegt sich – anders als sonst – in einem Rollstuhl durch den Gang. Eine Hand umklammert das Rad des Rollstuhls und versucht das Gestell, samt Mensch, nach vorne zu bewegen, die andere umklammert einen durchweichten Kaffeebecher für die Münzen.
Ich frage mich, was ihm wohl zugestoßen ist. Als ich aussteige, verspüre ich neben dem üblichen Mitleid, das man für Menschen ohne Zuhause empfindet, ein bedrückendes Gefühl der Traurigkeit und Scham. Der Mann hievt sich samt Rollstuhl unbeholfen an derselben Station wie ich aus der Bahn. Als diese wieder vom Tunnel verschluckt wird, schaut er sich kurz um und dann auf die Münzen im Becher. Zufrieden steht er aus seinem Rollstuhl auf, nimmt ihn in die Hand und geht mit ihm munter die Treppe Richtung Ausgang hinauf. Paula Parker
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