berliner szenen: Der Mann versteht nicht
Ein lauer Sommerabend kurz vor halb zehn, es wird schon dunkel. Ich sitze mit meinem Sohn auf unserem Erdgeschossbalkon, als ein blauer Lieferwagen ohne Aufschrift vor unserem Haus hält. Ein Mann steigt aus, geht die Einfahrt entlang und drückt eine Klingel. Wenig später steht er mit zwei großen Paketen vor unserem Balkon. Er trägt Jeans und T-Shirt, keine Ahnung, für welchen Paketdienst er arbeitet. „Für Nachbarn?“, sagt er etwas ungelenk. Er sieht sehr nett aus.
„Ja klar, kann ich annehmen“, sage ich. „Für welche ist es denn?“ Die Pakete für die Leute, die gerade für drei Wochen in Urlaub gefahren sind und trotzdem immer weiter bestellen, nehmen wir nicht an. Die lassen auch sonst ihre Päckchen tagelang bei uns stehen, und „Danke“ sagen sie auch nie. Der Mann lächelt freundlich und reicht mir die Pakete an. „Arbeiten Sie immer so lange?“, frage ich. Es ist immerhin fast halb zehn.
„Hier unterschreiben bitte“, sagt er höflich und hält mir das entsprechende Gerät hin. Ich nehme es entgegen und merke, dass ich das so nicht kann. Ich sehe schlecht ohne Brille, außerdem ist es schon fast dunkel. „Warten Sie kurz, ich brauche meine Brille“, sage ich und lege das Gerät in den Blumenkasten. „Ah, fertig?“, sagt er und nimmt das Gerät.
Mein Sohn schämt sich fremd. „Mama, der versteht überhaupt kein Deutsch“, sagt er und verschwindet im Haus. Ich nehme dem Mann das Gerät wieder aus der Hand und lege es auf den Balkontisch. „Moment“, sage ich und gehe meine Brille holen. Wieder zurück auf dem Balkon unterschreibe ich und reiche das Gerät zurück. „Danke. Tschüß“, sagt der Mann freundlich. Und völlig akzentfrei noch dazu.
Aber für wen er da eigentlich arbeitet und wie er sonst zurechtkommt – mit diesen Fragen bleibe ich allein zurück. Gaby Coldewey
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