piwik no script img

berliner szenenEines der Biester studieren

Bzzzzbzzzzzbzzzzz“, höre ich es draußen brummen und schlage in einem Reflex schnell das Fenster zu. Durch die Scheibe betrachte ich das kleine braune Ungeheuer aus nächster Nähe. Jetzt, denke ich, habe ich endlich Gelegenheit, eines der Biester zu studieren. Als ich vor einem Jahr das erste Mal das Summen einer Bremse hörte, hatte ich danach über eine Woche lang ein zugeschwollenes Auge, ohne die Attentäterin überhaupt zu Gesicht bekommen zu haben. Alles war sehr schnell gegangen: Beim Sprung in einen bereits verspäteten Bus hörte ich mit einem Mal genau jenes Bzzzzzzz. Dann flog ein kleines braunes Etwas in Höhe meines Kopfs an mir vorbei, prallte, als ich intuitiv versuchte auszuweichen, gegen mich und stach unmittelbar unter meinem linken Auge zu. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah.

Erst im Bus, den ich bekommen musste, um es noch pünktlich zur Schule meiner Tochter zu schaffen, merkte ich, dass der Bereich um mein Auge herum juckte und pochte wie bei keinem Insektenstich zuvor. Ehe ich mit meiner verstörten Tochter, die mit ihrer ramponiert aussehenden Mutter erst nach viel Überredungskunst mitzugehen bereit war, endlich zu Hause bei Kühlbeutel und Insektenmittel ankam, war es auch schon geschehen: Der kleine Stich hatte sich in einer faustgroßen Schwellung manifestiert. Mein Auge war so zugeschwollen, dass ich kaum mehr sehen konnte. In den darauf folgenden Tagen sah ich aus wie ein Opfer häuslicher Gewalt: Die Schwellung unter dem Auge färbte sich erst blaugrün, dann lilagrün.

Unangenehmer als der Schmerz und das schlechte Sehen waren die Blicke: Nach kurzem Anstarren folgte meist ein schnelles Wegsehen. Ganz so, als wollten die Menschen ungeschehen machen, was sie gesehen hatten, um nicht fragen zu müssen.

Eva-Lena Lörzer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen