piwik no script img

berliner szenenKinoabend, pandemisch gestresst

Jeden Abend fahre ich am Friedrichstadtpalast vorbei, immer stehen dort Menschen in langen Schlangen. Jeden Abend schwanke ich zwischen Fassungslosigkeit (dass die keine Angst vor Omikron haben!) und leichtem Neid. Ich war seit zwei Jahren nirgends mehr.

Aber jetzt. Mein Mann schlug vor, den Thomas-Brasch-Film in Kino zu sehen. Der lief am frühen Sonntagabend um die Ecke. Im Kinofoyer ist es ziemlich voll. „Ihr seid ja dreimal geimpft, oder?“, fragt der Mann an der Kasse. Ich will gerade meinen Impfpass rausholen, da sagt er das noch mal. „Habt ihr die Luca-App?“, fragt er, während er zwei Tickets über die Theke schiebt. Haben wir nicht, darum müssen wir unsere Adresse aufschreiben.

Dann öffnet er den Kinosaal. „Nur die ungeraden Reihen. Und immer zwei Plätze Abstand zu den Sitznachbarn“, hatte er uns gesagt. Am Eingang weist ein Schild auf die FFP2-Pflicht hin.

Die Hälfte der Leute hat Getränke dabei und folglich keine Masken auf. Dann kommen noch vier Leute, der Mann von der Kasse weist sie drei Reihen vor uns ein. „Aber wir sollen doch nur in die ungeraden Reihen“, wagt ein Mann vor uns einen Einwand. Der wird überhört.

Das Licht geht aus, der Typ neben uns starrt auf sein Handy. Im Lichtschein sehe ich seine Maske unterm Kinn hängen. In diesem Moment merke ich deutlich: hier will ich nicht bleiben. Aber ich gebe mir Mühe und denke an die Leute im Friedrichstadtpalast. Nach anderthalb Stunden bin ich so gestresst, dass ich an die frische Luft muss. Als ich zurückkomme, zieht mein Mann gerade seine Jacke an. „So hab ich auch keine Lust mehr“, sagt er. Der Abend ist verdorben. Ich gehe weinend zu Fuß nach Hause.

Als ich später im Bett liege, denke ich, wie schön es wäre, wenn das alles sich irgendwann wieder normalisieren würde. Ich selber eingeschlossen. Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen