berliner szenen: Ein Polizist fühlt sich berufen
Das Halteverbot an der Straßenecke betrachten viele nur als Vorschlag. Die Handwerker zum Beispiel, die hier oft frühmorgens einen Platz nahe der Baustelle finden. Oder die Eltern, die ihre Kinder in der Kita abliefern und sich anschließend erst mal eine Erholungspause im Straßencafé gönnen. Der Kontaktbereichsbeamte ärgert sich platzig darüber. Genau an dieser Stelle mit dem abgesenkten Bordstein mündet der Radweg in die Fahrbahn. Außerdem nutzen die beiden Rollstuhlfahrerinnen aus dem behindertengerechten Haus diesen Weg. „Ich kenn doch meine Pappenheimer, die hier parken. Die wissen genau, auf wessen Kosten sie sich hier breitmachen. Wie oft hab ich denen das schon gesagt.“ Sogar am Wochenende ist der Polizist manchmal im Einsatz und verteilt Knöllchen oder lässt sogar abschleppen.
Heute hat er den schwarzen Van vor einer Feuerwehreinfahrt auf dem Kieker. Ob der Wagen zu einem Beerdigungsinstitut gehört? Er ist durch keine Aufschrift gekennzeichnet. Der Polizist inspiziert ihn eingehend und füllt dann den grünen Strafzettel aus. Eine Passantin spricht ihn an und zeigt auf den Laden des orthopädischen Schumachers. Dahin ist der Fahrer gegangen. Der Polizist klemmt den Zettel hinter die Windschutzscheibe und schlendert mit wichtiger Miene zum Schuhmacher. Gemeinsam mit dem Autobesitzer kommt er wieder heraus und setzt vor dem Van zu einer ausgiebigen Belehrung an. Der Fahrer folgt dem Vortrag mit gesenktem Blick und nickt angemessen schuldbewusst. Er ist ein guter Schauspieler, jetzt nimmt er auch noch die Kappe ab. Der Polizist ist zufrieden, richtet seine eckige Schirmmütze – und zerreißt den grünen Zettel. Er hat etwas übrig für Gehbehinderte, ob im Rollstuhl oder in orthopädischen Schuhen. Ein Kontroletti mit Sinn für Kulanz. Claudia Ingenhoven
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen