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berliner szenenIhm macht das Brüllen Spaß

Nasskalt. Unangenehm. Depressives Wetter. Und nun auch noch Omikron. Noch im Bett checke ich jeden Morgen die neuesten Meldungen. Das dauert zwei Stunden, dann ist es zehn, während es bei Jens Spahn immer noch halb eins ist.

M. geht es auch nicht so gut. Er braucht Streichhölzer, weil er Feuerzeuge nicht mehr bedienen kann. Zigaretten braucht er natürlich auch. Gestern Abend hatte er sich schon bei dem Menschen, der über ihm wohnt, ein paar Zigarillos geborgt. Er sieht schlecht aus, der Blick wild. Ihm schlägt das Wetter aufs Gemüt. Die Krankheiten. Dann noch der Lärm. Ein nerviges Bohren in mittlerer Lautstärke von oben. Manchmal verschwindet es, dann ist es wieder da. Nervös wechselt er Radioprogramme und Lautstärken. Schließlich kann er es nicht mehr aushalten und fängt an zu brüllen. „Du Arschloch! Hör sofort damit auf, sonst hol ich die Polizei …“ Dabei blickt er nach oben – sein Gesicht sieht aus wie ein auf die Spitze gestelltes bleiches Viereck – und fuchtelt mit den Armen wie ein irrer Wutbürger. Es ist zum Fürchten. Ich kann sein Gebrülle nicht ertragen. Gleichzeitig bin ich überrascht von der Kraft seiner Stimme. Ihm macht das Rumbrüllen Spaß. Ich fühle mich angeschrien und sage, hör sofort auf damit, sonst geh ich. Er hört auf; das Bohren hört auch auf. Er will nicht verstehen, wieso ich Brüllen schlimm finde, und sagt: Du würdest dir alles gefallen lassen, du Opfer.

Dann ist alles wieder normal, wir spielen Schach. Ich rufe: Oh no, my queen!, er gewinnt das erste Spiel. Wir essen Eis. Ich gewinne das zweite Spiel. Er zündet sich die Zigaretten am Teelicht an, obgleich ich ihm Streichhölzer mitgebracht habe. Wir unterhalten uns über die Lichtverhältnisse in der Wohnung. Im Winter kann er an seinem Lieblingsplatz nicht lesen. Er bräuchte eine Stehlampe. Oder so was. Vielleicht.

Detlef Kuhlbrodt

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