berliner szenen: Falsche Götzen in Frohnau
Auf meiner mentalen Berlinkarte klaffte ein weißer Fleck: Frohnau. Also stieg ich aufs Rad. Aber schon hinter der Philharmonie musste ich von meiner Route abweichen. Wegen einer Demo sperrte die Polizei den Tiergarten. Ich hievte mein Citybike über eine Hecke und stand bei Bellevue schon wieder vor Beamten. Auf mein Ich-müsse-nach-Hause-nach-Reinickendorf winkten sie mich mitfühlend durch.
Ich rollte in die mir unbekannte Otto-Dix-Straße, kurvte durch das Labyrinth des Poststadions, bis ich schließlich zu einem Späti in der Lehrter kam, wo ich mal einen Sixpack für eine Party geholt hatte. Ich war wieder genordet. Mein Kleinhirn steuerte mich über die Fennbrücke und in die Reinickendorfer. Der Bezirk kündigte sich mit Menschen an, die vollbepackt von einem Flohmarkt strömten. Linden- und Rödernallee, über den Nordgraben.
Gen Wittenau wurden die Reklameschilder größer und greller: Ein Plakat versprach, dass hier die Burger noch saftiger seien. Wittenau ist kein Ort, den man vor dem Sterben gesehen haben muss! Dann wurden die Vorgärten größer. Ein Weg kündigte einen Waldsee an, ein Gewässer von Nadelholz gesäumt. Nach der S-Bahn-Brücke präsentierte sich Alt-Hermsdorf mit einer langen Allee mächtiger Platanen und Fachwerk.
Dann der Zeltinger Platz, ich war in Frohnau, fuhr betäubt von der Waldluft einen Hang hinauf, der an steinernen Stufen endete. Das Tor war geöffnet, ich stieg hinauf und meinte, dass die Buddhastatue mir kurz zublinzelte. Ich, der ich nie religiös war, spürte auf einmal den Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wieder zu Hause stieß ich im Netz darauf, dass dem buddhistischen Tempel die Lehrerlaubnis entzogen worden war. Ich hatte mich also einem falschen Götzen anvertraut. Timo Berger
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