berliner szenen: Wenn der Gong zur falschen Zeit
Coronagefahr, klar, aber Amok? Als eine Kollegin mir vor den Sommerferien einen Zettel zeigte, auf dem Anweisungen im Falle eines Amoklaufs standen, zuckte ich zusammen. An Amok in der Schule hatte ich noch nie gedacht. Und wollte den Gedanken daran auch schnell wieder loswerden. Also merkte ich mir nur, dass man unter keinen Umständen das Gebäude verlassen, sondern schnell die Tür abschließen und nicht in die Nähe der Täter kommen sollte.
An einem Dienstagmorgen ertönt der Schulgong mitten in der Unterrichtszeit. Es folgt: nichts. Mir fällt der Zettel wieder ein. Ich versuche mich daran zu erinnern, was da zum offiziellen Prozedere stand. Alles, was ich noch weiß, ist, dass Betroffene das Kollegium mittels SMS warnen. Mein Handy aber ist aus. Es würde mir eh wenig bringen. Ich bin nicht in der Schul-Whatsapp-Gruppe namens „ernsthafter school shit“. Also schließe ich die Tür der Bibliothek von innen ab und warte. Nach einer Weile schließt jemand von außen auf: Es ist der Hausmeister, der sehen will, ob es durch den Regen am Vortag zu Wasserschäden kam. Ich lächele über meine Amok-Panik.
Später – ich habe das Ganze bereits vergessen – deutet eine Kollegin auf dem Schulhof auf einen circa Zehnjährigen, der gerade das Kaliber einer Pistole auf uns richtet. Sie bittet ihn, die Pistole wegzustecken. Er grinst nur. Auch die männliche Pausenaufsicht meint, wir seien in der Situation machtlos: Der Junge geht nicht auf unsere Schule. Und das Stück Weg, auf dem er sich befindet, gehört zwar zum Schulhof, gilt aber als öffentlicher Raum: Es führt zu einem Ufer und ist daher von außen begehbar. Meine Kollegin runzelt die Stirn und spricht aus, was ich denke: „Erst der Gong und jetzt die Knarre. Was ist denn bitte heute los?“
Eva-Lena Lörzer
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